Wer ist der Größte?

Predigt über Matthäus 11,11‑15 zum Johannestag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Welche Menschen sind große Menschen? Ich meine jetzt nicht die köperliche Größe, sondern ihre Bedeutung, ihren öffentlichen Einfluss, ihre Berühmt­heit. Den meisten werden da zuerst Namen einfallen, die wir immer wieder in der Zeitung lesen können: die Stars aus Sport und Kultur, die Mächtigen in der Politik, die geistig Großen der Wissen­schaft. Vielleicht werden manche auch solche Personen nennen, die in der Kirche oder für den christ­lichen Glauben groß sind oder waren. Und wenn man die Großen der Vergangen­heit mitbedenkt, dann kann man auf den Gedanken kommen zu vergleichen und eine Rangfolge unter den Großen auf­zustellen – so, wie ein deutsches Nachrichten­magazin vor einigen Jahren per Umfrage die 100 größten Deutschen ermittelte. Und wenn man solche Rangfolgen aufstellt, dann wird sich dabei heraus­stellen, wer denn der Größte ist unter den Großen – zumindest innerhalb der einzelnen Kategorien. Man könnte dann sagen: der Größte unter den deutschen Politikern war Bismarck, der Größte unter den deutschen Lieder­dichtern war Paul Gerhardt, der Größte unter den deutschen Kirchen­männern war Martin Luther.

Im jüdischen Volk zur Zeit Jesu galt Johannes der Täufer als der größte Bußprediger und Prophet aller Zeiten. Gewiss, in ganz alten Zeiten war Mose ein großer und bedeutender Prophet gewesen, aber er hatte doch das Kommen eines noch größeren Propheten an­gekündigt, und viele meinten, das sei Johannes der Täufer. Nach Mose hielt man den Propheten Elia für den Größten und wartete darauf, dass er von den Toten auferstehen und seine Tätigkeit auf Erden fortsetzen würde, darum hielten viele Johannes den Täufer für den auf­erstandenen Elia. Jesus selbst bestätigte die Meinung des Volkes, jedenfalls in gewisser Hinsicht. Er sagte: „Unter allen, die von einer Frau geboren sind, ist keiner auf­getreten, der größer ist als Johannes der Täufer… und wenn ihr's annehmen wollt: er ist Elia, der da kommen soll.“ – „Wenn ihr's annehmen wollt“, sagte Jesus, das heißt: „Man könnte so sagen.“ Johannes der Täufer selbst hatte freilich beteuert, dass er nicht der leibhaftige Elia ist, auch nicht der große Prophet, von dem Mose redete. Johannes sah sich einfach als eine Stimme Gottes, als ein Prophet am Ende einer langen Reihe von Propheten, die alle Gottes Erlösung des neuen Bundes voraus­gesagt hatten (Joh. 1,21‑23). Allerdings war Johannes ähnlich gekleidet wie Elia, und er konnte ebenso machtvoll predigen wie er. Schon vor seiner Geburt hatte ein Engel seinem Vater Zacharias an­gekündigt: „Er wird vor dem Herrn hergehen im Geist und in der Kraft Elias“ (Lukas 1,17). Dieser Geist und diese Kraft machten ihn zum Größten auf Erden, wie Jesus bezeugte, und das zeigte sich dann auch im Leben und Wirken des Johannes. Ganz auf Gottes Wort aus­gerichtet, lebte er unter primi­tivsten Bedingungen in der Wüste, ernährte sich von Heu­schreucken und Wildhonig. Mit un­erschrocken scharfen Worten rief er die Menschen zur Umkehr – Arme und Reiche, Hohe und Geringe. Die Bußbereiten unter seinen Hörern taufte er zum Zeichen dafür, dass Gott ihre Sünden vergab, und erhielt deswegen den Beinamen „der Täufer“. Er scheute sich auch nicht, den mächtigen Fürsten Herodes Antipas zur Rede zu stellen, weil dieser seinem Bruder die Frau weggenommen hatte. Dafür kam er ins Gefängnis und wurde schließlich hin­gerichtet.

Ja, im Vergleich mit allen Großen der Erde war Johannes der Täufer der Größte, das hat Jesus selbst bezeugt. Johannes war größer als Mose und Martin Luther, größer als Cäsar und Bismarck, größer als Sokrates und Einstein. Diese überragende Größe liegt vor allem an Einem: Als Letzter in der Reihe der alt­testament­lichen Propheten kündigte er das Kommen des Erlösers an. Mehr noch, er ver­kündigte, dass der Erlöser schon da sei und dass Gottes Reich jetzt mit ihm anbreche. Diesen Erlöser taufte er dann und bezeugte von ihm, dass dieser besondere Mann, der nach ihm kommt, größer ist als er selbst. Da haben wir den ent­scheidenden Hinweis, um das merkwürdige Wort Jesu zu verstehen: „Der aber der Kleinste ist im Himmel­reich, der ist größer als er.“ Jesus redet hier von sich selbst, nennt sich selbst den Kleinsten im Himmel­reich. Er hat dabei seine Er­niedrigung im Sinn, seine Knechts­gestalt, die er um uns Menschen willen angenommen hat. So hat es ja schon der Prophet Jesaja vom „Knecht Gottes“ geweissagt: „Er war der Aller­verachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit“ (Jes. 53,3). Jesus hat sich deshalb so klein gemacht, damit er alle erlöst. Danach hat ihn der himmlisch Vater erhöht zu höchsten Ehren, hat ihm alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben. So ist der Kleinste im Himmelreich zum Größten im Himmelreich geworden. Ja, Jesus redete von sich selbst, als er sagte: „Der aber der Kleinste ist im Himmel­reich, der ist größer als Johannes der Täufer“, also größer noch als der Größte: der Aller­größte. Diese Größe Jesu hängt damit zusammen, dass er das ganze Gesetz erfüllt hat, den ganzen heiligen Willen seines Vaters, in voll­kommenem Gehorsam. So hat er auch in der Bergpredigt von sich selbst geredet, als er sagte: „Wer das Gesetz tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmel­reich“ (Matth. 5,19).

Johannes der Täufer ist der Größte auf Erden, der Größte „von einer Frau geboren“. Jesus Christus aber ist noch größer, der Größte im Himmel­reich, weil er sich erniedrigt und zum Kleinsten gemacht hat. Damit ist fast alles gesagt, was zu diesem Wort Jesu zu sagen wäre. Fast – eine wichtige Sache fehlt nämlich noch. Wir, die wir getauft sind, gehören zu Jesus Christus. Das bedeutet: Wir haben Anteil sowohl an seiner Kleinheit als auch an seiner Größe. Solange wir auf Erden leben, steht das Zeichen des Kreuzes in mancherlei Leiden auch über unserem Leben, und wir sind aufgerufen, es geduldig und demütig zu tragen wie Jesus selbst. Zugleich aber schenkt Jesus uns die Frucht seines perfekten Gehorsams, nämlich seine Gerechtig­keit. Weil wir getauft sind, umgibt uns Christi Gerechtig­keit wie ein herrlicher Mantel, und in diesem Mantel treten wir vor Gott als Gerechte – also wie Leute, die das Gesetz ebenso vollkommen erfüllt haben wie Christus selbst. Das macht uns Kleine im Reich Gottes zu Großen. Als die Jünger einmal darüber disku­tierten, wer denn der Größte im Himmelreich ist (übrigens eines ihrer Lieblings­themen!), da zeigte ihnen Jesus ein Kind, das ihm nachgefolgt war, und sagte: „Wer sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmel­reich“ (Matth. 18,4). Wer sich demütig als Sünder erkennt, wer Gott um Gnade bittet und kindlich vertraut, dass ihm durch Jesus alle Schuld vergeben wird, den nimmt der Heiland in seine Gemein­schaft und macht ihn damit ganz groß. Der Kleinste ist bei Gott der Größte, und die Letzten werden die Ersten sein. So ist in Gottes Reich die Ordnung unserer Welt auf den Kopf gestellt! Mit Jesus selbst hat es angefangen, und es setzt sich in allen fort, die zu Jesus gehören. Wo das geschieht, ist es gar nicht mehr möglich, eine Rangfolge auf­zustellen. Die Frage, wer in Gottes Reich denn größer und kleiner ist als ein anderer, die ist unsinnig. Verglichen wird überhaupt nicht mehr in Gottes Reich! Wer zu Jesus gehört, der ist so klein wie Jesus und so groß wie Jesus, ganz gleich, wie viel oder wie wenig Berühmtheit er auf Erden hat. Und so darfst du, lieber Christ, wer auch immer du bist, dieses Wort, das Jesus zuerst auf sich selbst bezogen hat, ganz kühn auch auf dich beziehen: Der Kleinste im Himmelreich ist größer, als Johannes der Täufer es seinem Ruhm in der Welt nach war. Du darfst das kühn auf dich beziehen, weil du zu Jesus gehörst; du bist eins mit ihm, ein Glied an seinem Leib. Freue dich, Christ, denn bei Gott bist du ganz groß und bedeutend! Darum wird er dich schon nicht im Stich lassen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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