Dritte Fastenpredigt

Predigt über Matthäus 6,16‑18 in einer Passionsandacht

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn heutzutage jemand eine Leidens­miene aufsetzt, dann könnte es ihm tatsächlich schlecht gehen, er könnte aber auch ein Heuchler sein. Wenn er heuchelt, dann will er andere Menschen auf sich aufmerksam machen und Mitleid erwecken, in dem Sinne: „Seht her, wie dreckig es mit geht; nun seid mal alle schön rücksichts­voll und behandelt mich gut!“ Der Heuchler, von dem Jesus in der Bergpredigt redet, setzt allerdings aus einem anderen Grund eine Leidens­miene auf: Er möchte auf diese Weise mit seiner Frömmigkeit angeben. Der Heuchler, von dem Jesus redet, der ist gerade beim Fasten. Für die damalige Zeit war Fasten ein angesehenes Werk der Frömmig­keit. Und damit das recht deutlich wird, haben die Fastenden ihren Verzicht nach außen hin deutlich sichtbar gemacht. Wer fastete, der verzichtete auf Körper­pflege. Er wusch sich nicht und er salbte sich auch nicht Olivenöl, wie die meisten es nach dem Bad zu tun pflegten. Außerdem zog er ein schäbiges Sackgewand und bestreute sich mit Asche – ich habe ja bereits am Ascher­mittwoch darüber in der Predigt gesprochen. Auf diese Weise sah und roch man zehn Meter gegen den Wind, wenn jemand am Fasten war. Falls er dann noch eine gekonnte Leidens­miene aufsetzte, gab er das Bild des perfekten Heiligen ab in den Augen der damaligen Zeit: Fürwahr, ein Mensch, der sich in asketischen Übungen für seinen Gott regelrecht aufzehrt! Man bewunderte die Selbst­disziplin dieser Menschen, die es so lange ohne Nahrung und Körper­pflege aushielten.

„Heuchler“ nennt Jesu diese Fastenden mit Asche-ver­schmierten Gesichtern und Leidens­mienen. Warum Heuchler? Leiden sie denn nicht wirklich unter dem Mangel an Essen und Trinken? Fühlen sie sich nicht wirklich schlecht? Mag sein, dass sie es tun, es ist sogar anzunehmen. Heuchler sind sie aber aus einem anderen Grund: Sie tun so, als ob sie Anerkennung bei Gott erlangen wollen, aber in Wirklich­keit haben sie es auf die Anerkennung von Menschen abgesehen. Wenn es ihnen wirklich nur um Gott ginge, dann bräuchten sie aus ihrem Fasten nicht solch eine Show zu machen und wie die Strauch­diebe herum­zulaufen; Gott kann ins Herz sehen und auch ohne Leidens­miene ermessen, wie sehr sie ihr Verzicht schmerzt. Jesus urteilt: „Sie haben ihren Lohn schon gehabt.“ Diese Redewendung hatte damals ihren Platz auf dem Gutshof, wo der Herr oder dessen Verwalter den Arbeitern den Lohn für ihre Arbeit ausbezahlt. Der Arbeiter hat gearbeitet, der Herr hat gezahlt, nun sind sie quitt, nun ist alles abgegolten, „er hat seinen Lohn gehabt.“ Mit dieser Redewendung entlarvt Jesus die Heuchler: Nicht Gott im Himmel, sondern die öffentliche Meinung über sie ist der Herr, dem sie dienen. Sie fasten mit Leidens­miene, die Mitmenschen bewundern und verehren sie als große Heilige mit viel Selbst­disziplin, und damit wäre dann alles erledigt und abgegolten; Gott bleibt außen vor.

Liebe Gemeinde, heißt das denn nun, dass wir mit heimlichem Fasten Lohn bei Gott anstreben sollen? Man könnte auf diesen Gedanken kommen, denn Jesus verheißt dem diskret Fastenden: „Dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.“ Aber das würde ja bedeuten, dass wir uns Ansehen bei Gott erst verdienen müssten und nicht aus Gnade angenommen sind! Das kann Jesus nicht gemeint haben, und das hat er auch nicht gemeint. Denn er hat ja bei einer anderen Gelegenheit die Geschichte vom Pharisäer und vom Zöllner erzählt. Da prahlt der Pharisäer im Gebet vor Gott unter anderem damit, dass er zweimal wöchentlich fastet. Er fühlt sich dabei dem Zöllner haushoch überlegen. Aber damit erlangt er gerade nicht Ansehen bei Gott, sondern wird wegen seiner Überheblich­keit sogar verworfen. Wir merken also: Obwohl sich dieser Pharisäer Lohn vom richtigen Herrn erwartet, von Gott nämlich, macht er trotzdem etwas falsch. Und was macht er falsch? Er fastet aus dem falschen Grund und mit einer falschen Herzens­haltung! Über gute Gründe für gott­gefälliges Fasten haben wir bei den letzten Passions­andachten schon nach­gedacht: Man kann fasten, um sich auf das Gespräch mit Gott zu kon­zentrieren, auch, um verzichten zu lernen zugunsten anderer Menschen. Der Pharisäer jedoch fastete nur, um Punkte bei Gott zu sammeln, war hochmütig und verachtete die anderen, die nicht so fromm waren wie er. Das Fasten an sich ist also bei Gott gar nicht so wichtig, auf das Herz kommt es an. Wer aber mit rechtem Herzen fastet, gehorsam und demütig und mit Rücksicht auf andere, der wird von Gott belohnt – nicht mit der Seligkeit, denn die ist ja ein reines Geschenk, aus Gnaden um Christi willen gegeben – er wird aber belohnt mit der Erfahrung inniger Gemein­schaft mit Gott.

Und nun schauen wir wieder auf den leidenden und sterbenden Christus. Was er in der Bergpredigt gelehrt hat, das hat er auch gelebt. Seine Passion, so hatten wir das letzte Mal gesehen, war ein unsagbar schmerz­licher Verzicht zugunsten von uns sündigen Menschen. Er hat diesen Verzicht nicht geleistet, um bei Menschen Ansehen zu gewinnen; im Gegenteil: Es hat ihm Spott und Verachtung ein­gebracht. Er hat mit diesem Verzicht dem einen rechten Herrn gedient, seinem Vater im Himmel. Dem hat er mit diesem „Fasten“ gehorcht. Das kommt in un­nachahm­licher Weise in den Worten zum Ausdruck, die Paul Gerhardt dem leidenden Gotteslamm in den Mund gelegt hat in seinem Passions­lied „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“: „Ja, Vater, ja, von Herzens­grund, / leg auf, ich will dirs tragen; / mein Wollen hängt an deinem Mund, / mein Wirken ist dein Sagen.“ Und was war der Lohn dieses rechten „Fastens“, dieses demütigen Verzichts zugunsten anderer? Der Lohn ist unsere Erlösung. Weil Jesus uns lieb hat, ist es der schönste Lohn für ihn, uns die Seligkeit zu erwerben. Es ist so, wie wenn Eltern freudig verzichten und freiwillig Ent­behrungen auf sich nehmen, um ihren Kindern etwas Gutes zu tun, um ihnen beispiels­weise eine erst­klassige Ausbildung zu finan­zieren.

Liebe Gemeinde, wenn wir fasten, wenn wir auf irgendetwas verzichten, dann lasst uns dies alles zu Herzen nehmen. Also erstens: Lasst uns nicht extra eine Leidens­miene aufsetzen, damit andere uns bewundern oder be­mitleiden. Zweitens: Wir wollen uns auch nicht einbilden, als könnten wir mit dieser frommen Leistung bei Gott Anrecht auf einen Lohn gewinnen, gar noch auf den Lohn der Seligkeit. Die Seligkeit, die kann sich niemand verdienen, die kann man sich nur von Christus schenken lassen. Drittens: Wenn unser Fasten und Verzichten denn etwas Geistliches sein soll, was wirklich in die Fastenzeit passt, dann kann dieser Verzicht nur dann etwas Gutes sein, wenn er mit der rechten Herzens­haltung einhergeht, nämlich mit der Achtung vor unserem himmlischen Herrn, mit Demut, mit Liebe zu Gott und den Menschen. Als äußeres Zeichen solcher Herzens­haltung ist Gott das Fasten dann wohl­gefällig. Und er wird es dann um Christi willen segnen – auf allerlei Weise. Lassen wir uns über­raschen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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