Zweite Fastenpredigt

Predigt über 2. Mose 34,27‑28a in einer Passionsandacht

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Vierzig Tage Fastenzeit, ausgenommen die Sonntage – so bereitet sich die Christen­heit schon seit vielen Jahr­hunderten auf das Osterfest vor. Vierzig Tage lang in der Wüste fasten – so hat sich der Gottessohn auf seinen Ver­kündigungs­dienst und sein Heilswerk vor­bereitet. Vierzig Tage lang auf dem Berg Sinai fasten – so hat Mose das Gesetz in Empfang genommen und auf­geschrieben, mit dem Gott seinen Bund mit dem Volk Israel befestigt hat. Dass sowohl Mose als auch Jesus vierzig Tage lang gefastet haben, ist kein Zufall, sondern es ist vom himmlischen Vater weise bestimmt worden. Er hat damit Mose und Jesus einander gegen­über­gestellt und in eine Beziehung gesetzt – den Mittler des alten Bundes und den Mittler des neuen Bundes. Der alte Bund gründet auf dem Gesetz, der neue Bund auf Jesu Opfergang ans Kreuz. Der alte Bund war ein Bund für das Volk Israel, der neue Bund ist ein Bund für alle Völker der Erde. Der alte Bund war an die Bedingung der Gesetzes­erfüllung geknüpft, der neue Bund schenkt dem Glaubenden Gottes Gerechtig­keit aus lauter Gnade und Barmherzig­keit. Der alte Bund hat geringere Herrlich­keit als der neue Bund, wie auch Mose, der Mittler des alten Bundes, nur ein sündhafter Mensch war, Jesus aber, der Mittler des neuen Bundes, wahrer Gott und wahrer Mensch, ohne Sünde und ohne Fehler. Der Evangelist Johannes hat es so aus­gedrückt: „Das Gesetz ist durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden“ (Joh. 1,17).

Wir haben in der letzten Passions­andacht gesehen, dass Fasten ein Verzicht auf Essen, Trinken und anderes ist und dass solcher Verzicht dazu dient, sich ganz auf das Gespräch mit Gott zu kon­zentrieren. Wie wir das bei Jesus in der Wüste fest­gestellt haben, so können wir es auch bei Mose fest­stellen. Denn die vierzig Tage auf dem Berg Sinai dienten ja der intensiven Begegnung mit Gott. In dieser Zeit hat ihm Gott nicht nur die Zehn Gebote gegeben, sondern er hat ihn auch das ganze Gesetz gelehrt, das bis in Einzel­heiten hinein Israels Leben vor Gott und als Volks­gemeinschaft ordnen sollte. In seiner vierzig­tägigen Fastenzeit hat Mose gut zugehört und alles genau auf­geschrieben; wir können es noch heute in den Mosebüchern nachlesen.

Mose hat das nicht aus per­sönlichem Ehrgeiz oder zur Selbst­findung getan, sondern schlicht im Gehorsam gegenüber Gottes Auftrag, zu Nutz und Vorteil des Volkes, das ihm zur Führung anvertraut worden war. Wir sehen also: Mose hat für andere gefastet und dieses intensive Gespräch mit Gott geführt. Und damit wird sein Fasten zugleich zum Sinnbild für das Verzichten zu Gunsten anderer ganz allgemein. Denn der Dienst und Verzicht des Mose für andere ist ja keineswegs auf diese vierzig Tage auf dem Berg Sinai beschränkt. Vierzig Jahre lang hat er die Israeliten in der Wüste geführt und dabei auf viel mehr verzichten müssen als auf ausreichend Essen und Trinken. Auf ein Zuhause hat er verzichten müssen, das er doch erst nach langen Umwegen bei seinem Schwieger­vater Jetro gefunden hatte. Auf seine Bequemlich­keit hat er verzichten müssen, war er doch von morgens bis Abends mit den Führungs­aufgaben für Israel mit Beschlag belegt. Auf Anerkennung hat er verzichten müssen, wurde er doch ständig von seinen eigenen Leuten kritisiert und beschimpft. Und auf seine Seelenruhe hat er verzichten müssen, brachte ihn die Not seines Auftrags doch immer wieder in schwere Gebets­kämpfe vor Gott. Das ganze letzte Drittel von Moses Leben war ein einziges „Fasten“, ein einziger Verzicht für andere, nämlich für Gottes Volk Israel. Die vierzig Tage Fasten auf dem Berg haben das zeichenhaft deutlich gemacht.

Und so sollen wir auch das Fasten Jesu verstehen: Nicht nur als eine Vor­bereitungs­zeit und eine Zeit geistlicher Sammlung, sondern auch als ein Zeichen für seinen gesamten Auftrag. Denn eigentlich war ja das ganze Erdenleben Jesu ein einziges Fasten, ein einziger Verzicht zugunsten anderer. Er hat für diese Zeit auf die Herrlich­keit des Himmels verzichtet. Und als Mensch hat er auf königliche Ehre und königlichen Reichtum verzichtet, wiewohl er doch ein König ist. Ganz besonders aber zeigt sich sein Verzicht zugunsten anderer in seiner Passion, in seinem Leiden und Sterben. Auf Ruhe und Schlaf hat er verzichtet in der Nacht, da er gefangen genommen und verhört wurde. Auf sein Recht hat er verzichtet, als er zu den falschen Anklagen schwieg, die man vorbrachte. Auf seine Ehre hat er verzichtet, als man ihn verspottete und anspuckte. Auf seine körperliche Unversehrt­heit hat er verzichtet, als man ihn aus­peitschte. Auf einen machtvollen Befreiungs­schlag hat er verzichtet, als man ihm zurief, er solle doch vom Kreuz herunter­steigen, wenn er Gottes Sohn ist. Auf seinen Seelen­frieden hat er verzichtet, als er auskostete, was es heißt, von Gott verlassen zu sein. Auf seine Unsterblich­keit hat er schließlich verzichtet, als er sein Leben als Lösegeld für uns arme Sünder dahingab. Für uns hat Jesus verzichtet, für uns hat er gefastet, für uns hat er sich auf­geopfert, für uns hat er sich dahin­gegeben. „Tauend-, tausendmal sei dir, liebster Jesu, Dank dafür.“

Liebe Brüder und Schwestern, ich habe vor einer Woche davon gesprochen, dass wir vor allem dafür die Fastenzeit nutzen wollen: dass wir das intensive Gespräch mit unserem himmlischen Vater pflegen und das Bild des leidenden Gottes­sohnes recht tief in unser Herz einprägen. Aber auch bei uns kann das Fasten in der Fastenzeit zum Zeichen dafür werden, dass wir zugunsten anderer verzichten. Denn wir sind ja auf­gefordert, Jesus nach­zufolgen und das Kreuz auf­zunehmen. Das schließt die Bereit­schaft ein zu verzichten, wo wir unserem Nächsten helfen können – so wie Mose verzichtet hat zugunsten des Volkes Israel und so wie Jesus Christus verzichtet hat zugunster aller Menschen der Erde.

Da liegt es zum Beispiel nahe, auf die eine oder andere schöne Sache zu verzichten, die man sich gern kaufen würde, und das Geld für Hungernde und Bedürftige zu spenden. Ich freue mich darüber, dass wir beim letzten Weihnachts­fest in der Gemeinde wieder eine stattliche Summe für „Brot für die Welt“ zusammen­bekommen haben; aber so ein Verzicht und Opfer ist nicht nur zu Weihnachten sinnvoll. Und wenn wir an den sogenannten „fernen Nächsten“ denken, nämlich die Hungernden und Bedürftigen in anderen Ländern, dann sollten wir den nahen Nächsten nicht übersehen – denjenigen zum Beispiel, der nach Zuwendung hungert, nach Gemein­schaft, nach einem guten Wort, einem hilfreichen Rat oder auch praktischer Hilfe. Gott möge uns die Augen öffnen, dass wir das nicht übersehen und dann auch gern auf unsere Bequemlich­keit und auf Zeit für uns verzichten zugunsten des anderen. Schließlich kann auch bei uns das Fasten zur Kon­zentration auf's Gespräch mit Gott ein Verzicht zugunsten anderer sein, wenn wir uns nämlich reichlich Zeit nehmen zur Fürbitte – nicht nur allgemein für Kranke und Hungernde, sondern ganz gezielt und namentlich für Personen, deren Not wir gesehen haben. Wenn wir diesen weiten Blick bekommen, dann merken wir: Fasten sollte niemals nur ein Verzicht zum eigenen Vorteil sein, für das eigene körperliche und geistliche Wohl­befinden, sondern immer auch zugunsten des Nächsten geschehen. Wenn wir das bei unserem Fasten und in dieser Fastenzeit be­rücksichti­gen, folgen wir dem Beispiel des Mose und unseres Herrn Jesus Christus, dem Mittler des alten Bundes und dem Mittler des neuen Bundes. Gott lege darauf seinen Segen und gebe zum Wollen auch das Gelingen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum