Erste Fastenpredigt

Predigt über Matthäus 4,1‑4 in einer Passionsandacht

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Fasten­zeit“ nennt man die sechs­einhalb Wochen von Ascher­mittwoch bis Ostern; das sind vierzig Tage (aus­genommen die Sonntage). Vierzig Tage lang hat Jesus in der Wüste gefastet nach seiner Taufe. Erst danach begann er, öffentlich zu predigen und die ersten Jünger um sich zu scharen. Eine Vor­bereitungs­zeit auf seinen Dienst waren die vierzig Fastentage für Jesus. Und eine Vor­bereitungs­zeit auf Ostern soll die Fastenzeit für uns sein.

Eine Vor­bereitungs­zeit von vierzig Tagen – das ist für die heutige schnell­lebige Zeit einiger­maßen un­verständ­lich. Jesus war Mitte dreißig, voller Schwung und Tatendrang. Mit der Taufe war der Startschuss für seine Mission gefallen. Da würden Gleich­altrige heute denken: Wozu noch eine Vobereitungs­zeit? Jetzt nichts wie los und gepredigt und Wunder getan! Wozu das Zögern und Nichtstun? Ja, das ist ein Zeichen unserer Zeit, vielleicht sogar eine Krankheit unserer Zeit, dass man nicht warten möchte. Früher war das noch anders: Da musste man jahrelang für eine Wasch­maschine sparen; da hat man über zehn Jahre lang auf den bestellten Trabi warten müssen. Heute aber sind Wartezeiten und lange Vor­bereitungs­zeiten aus­gesprochen unmodern. Und doch haben sie ihren guten Sinn. Mein Vater pflegte zu sagen: „Erst besinn's, dann beginn's!“ Wer erst einmal in Ruhe seine Gedanken sammelt und über die bevor­stehende Aufgabe nachdenkt, der wird sie nachher besser lösen können.

Jesus hat seine Vor­bereitungs­zeit vom himmlischen Vater verordnet bekommen: „Der Heilige Geist trieb ihn in die Wüste, damit er vom Teufel versucht würde“, heißt es. Auch die Versuchung war verordnet, denn die gehört zum vollen Menschsein dazu. Und Mensch in jeder Beziehung musste der Gottessohn werden, um uns zu erlösen. Mensch in jeder Beziehung – mit Ausnahme der Sünde. Die Versuchung war ein wesent­licher Teil seiner Vor­bereitung.

Und es war, wie gesagt, eine Fastenzeit. Fasten – was ist das eigentlich? Fasten bedeutet verzichten. Zuerst fällt uns dabei natürlich der Verzicht auf Essen und Trinken ein, und so war das ja auch bei Jesus. Aber Fasten war für ihn noch mehr; der bloße Aufenthalt in der Wüste war schon an sich ein Fasten: Er verzichtete auf menschliche Ge­meinschaft; in der Wüste ist es einsam. Er verzichtete auf liebliche Bilder und Ab­wechslung; in der Wüste ist es öde und eintönig. Kein Essen, keine Ab­wechslung, keine Gesell­schaft – dieser Verzicht bildete den Rahmen für Jesu Vor­bereitung auf seine öffentliche Wirk­samkeit. Aber der Rahmen ist noch nicht der Inhalt. Wer nur verzichtet und fastet, hat Langeweile und Leere, aber noch keine sinnvolle Vor­bereitung. Jesus füllte den Rahmen seines Fastens in der Wüste, indem er sich auf das Gespräch mit seinem himmlischen Vater kon­zentrierte. Wahrschein­lich hat er danach nie wieder so lange und intensiv beten können wie in dieser Zeit. Und er hat gelauscht, was sein Vater ihm zu sagen hatte. Das Fasten und die Wüste boten den rechten Rahmen, die rechte Stille, die rechte Leere, die dem Gespräch mit dem Vater genügend Raum ließ.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, mancher Christ fastet in dieser Passions­zeit, dieser Vor­bereitungs­zeit auf Ostern. Der eine verzichet auf Süßig­keiten, der andere auf Alkohol, wieder ein anderer auf Zigaretten, ein anderer auf Fleisch, ein anderer auf Unter­haltungs­musik, ein anderer auf laute Parties, ein anderer auf die Verplanung seines letzten Bisschens Freizeit. Solcher Verzicht, solches Fasten, kann eine Menge Vorteile bringen: schlanke Linie, gesünderer Leib, ge­steigertes Wohl­befinden, ge­steigerter Genuss nach der Fastenzeit und anderes. Fasten ist eine „feine äußerliche Zucht“, wie Martin Luther im Kleinen Katechismus schrieb. Aber der ur­sprüngliche Sinn dieser „feinen äußerlichen Zucht“ zielt auf etwas anderes ab: Dass wir einen Freiraum gewinnen für das Gespräch mit Gott, also für das Beten und für das Hören auf sein Wort. Dass wir uns darauf in der Fastenzeit besonders konzen­trieren, dass wir uns dafür besonders Zeit nehmen, darum geht es. Das Bild des leidenden und sterbenden Gottes­sohnes soll groß werden in unserem Herzen zu dieser Zeit. Wenn er für unser Heil so gelitten hat, wollen wir uns dieser Betrachtung nicht vorschnell entziehen. Und es ist nicht das Schlech­teste, wenn uns dabei der Magen knurrt oder wenn uns ein anderer Fasten-Verzicht irgendwie schmerzt. Wer selbst ein wenig leidet, kann das Leiden des Gottes­sohnes besser nach­vollziehen. Er wird es auch höher wert­schätzen. Und er wird auch den Ernst der Sünde besser verstehen lernen, denn die Sünde hat ja unseren Herrn erst auf seinen Leidensweg gebracht. So ist Fasten seit alters auch immer ein Ausdruck von Reue, von Buße, von Leiden an der eigenen Sünde und ihren Folgen. Die Passions­zeit oder Fastenzeit ist von der Kirche stets als eine besondere Bußzeit angesehen worden; die liturgische Farbe violett ist ein Symbol dafür. Dies alles aber soll kein bloßes Ritual sein, keine sinn­entleerte Gewohnheit, sondern soll unter Gebet und Hören auf Gottes Wort statt­finden, denn das ist das Wichtigste beim Fasten im Sinne einer Vor­bereitungs­zeit.

Jesus hat die vierzig Tage in der Wüste auf die Stimme seines Vaters gehört und viel mit ihm geredet. Genau an diesem Punkt setzte die erste Versuchung des Teufels an. Er will seine Gedanken weglenken vom Himm­lischen, hinlenken auf das Irdische. Er macht Jesus bewusst, wie hungrig er ist, und fordert ihn auf, sich doch wieder mehr ums Essen zu kümmern. Er packt ihn bei seiner Ehre: „Du bist doch Gottes Sohn, du bist doch frei, du brauchst dich doch nicht länger selbst zu quälen mit dem Verzicht des Fastens. Dass es hier in der Wüste kein Brot gibt, ist doch kein Hindernis für dich: Tu ein kleines Wunder, verwandle ein paar von den Steinen, die hier massenweise rumliegen, in Brot!“ Ganz vernünftig, der Teufel, nicht wahr, und scheinbar ganz harmlos: „Iss doch endlich mal was, Jesus, gönn dir doch endlich mal wieder was Gutes, du wirst ja sonst noch ganz schwach!“ Aber Jesus durchschaut den Satan. Er merkt die Absicht: Der Teufel will ihn ablenken vom Wort seines Vaters, er will das kon­zentrierte Gespräch zwischen Vater und Sohn stören. Das ist aber lebens­wichtig – nicht nur für Jesus selbst, sondern für die ganze Menschheit. Nur wenn Jesus dem Vater völlig gehorcht, kann er das große Werk ausführen, das uns von der Macht des Todes erlöst. Und nur wenn Jesus genau hinhört, was der Wille des Vaters für ihn ist, kann er gehorchen. Hören und Gehorchen gehören zusammen. Und so weist er die Versuchung zurück mit dem Gotteswort aus dem Alten Testament: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“

Lassen wir uns dies als Warnung dienen, liebe Glaubens­geschwister. Egal ob du in der Passions­zeit fastest oder nicht, und egal wie du fastest: Lass dir nie das tägliche Brot in die Quere kommen, wenn es um Gottes Wort geht! So wie es früher leider oft sonntags war, dass manche Hausfrau nicht zur Kirche ging oder den Gottes­dienst vorzeitig verließ, weil sie meinte, sie muss das Mittagessen pünktlich auf dem Tisch stehen haben. Gottes Wort ist wichtiger! Oder wie es heute vielfach der Fall ist, dass Christen meinen, sie können sich nicht um Gottes Wort kümmern, weil sie sogar sonntags beruflich stark ausgelastet sind – auch da wird die Sorge des täglichen Brots wichtiger genommen als das Hören auf Gott, auch da ist der Teufel mit seiner Versuchung am Werk. Und selbst wenn ich in der Kirche sitze oder über einer auf­geschlagenen Bibel, selbst dann kann der Teufel kommen und mir allerlei irdische Sorgen in den Kopf setzen, sodass ich mit den Gedanken ganz woanders bin.

Lasst uns diese Versuchung erkennen, lasst sie uns bekämpfen, lasst uns Gott dazu um Kraft bitten, lasst uns auch alle verfügbaren äußeren Hilfen zur Kon­zentration in Anspruch nehmen, auch das Fasten! Lasst uns das alles tun, damit wir mit Gott reden können und damit sich das Bild vom leidenden und sterbenden Herrn recht tief in unsere Seele einbrennt! So nutzen wir die Fastenzeit recht. Nicht besser könnten wir uns vorbereiten auf das fröhlichste Fest der Christen­heit, das am Ende der sechs­einhalb Wochen auf uns wartet: Ostern, das Fest der Auf­erstehung unsers Herrn von den Toten! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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