Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Es wäre mal interessant, eine Untersuchung bei Autofahrern anzustellen, welche Berufsgruppen welchen Fahrstil haben. Und es wäre dann interessant herauszufinden, welchen Fahrstil Pastoren haben. Allerdings kann ich mir das Ergebnis auch jetzt schon denken: Die meisten Pastoren fahren rasant, um nicht zu sagen: riskant. Leider fahre ich auch nicht gerade langsam und bin deswegen auch schon ein paarmal geblitzt worden. Was sind wohl die Ursachen für den Pastoren-typischen Fahrstil? Pastoren sind viel unterwegs, Pastoren haben es meistens eilig, Pastoren sind mit den Gedanken woanders. Und, so würde vielleicht mancher hinzufügen: Pastoren haben viel Gottvertrauen. Aber zeugt ein riskanter Fahrstil wirklich von Gottvertrauen? Ist Leichtsinn nicht doch etwas anderes als Gottvertrauen? Bedeutet Leichtsinn nicht vielmehr, Gott zu versuchen?
Da sind wir auch schon bei unserem Predigttext: „Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht versuchen“, so ermahnte Mose das Volk Israel kurz vor dem Einzug ins verheißene Land Kanaan. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“, so wiederholte Jesus dieses Gebot, wie wir es in der heutigen Evangeliumslesung gehört haben (Matth. 4,7). Es ist die Geschichte von der Versuchung Jesu, und wir merken, dass das Thema Versuchung darin eigentlich auf zweierlei verschiedene Weise vorkommt: Erstens versucht der Teufel Jesus, und zweitens will Jesus nicht seinen himmlischen Vater versuchen. Der Teufel hatte ihn nämlich gerade aufgefordert, sich von der Tempelmauer in die darunter befindliche Felsenschlucht zu stürzen und auf diese Weise mal auszuprobieren, ob sein himmlischer Vater ihn unten sanft landen lässt. Jesus hält ihm entgegen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“ (das klingt fast wie ein 11. Gebot). Nein, leichtsinnig darf man nicht sein, auch dann nicht, wenn man denkt: Wird schon nichts passieren, Gott passt ja auf. Das ist kein Gottvertrauen, sondern das ist ein Gott-Versuchen. Gott versuchen heißt Gott auf die Probe stellen, mal ausprobieren, ob er wirklich so gut auf mich aufpasst, wie er verspricht. Gott versuchen heißt gewissermaßen Gott kontrollieren wollen. Ein Sprichwort lautet: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Dieses Sprichwort gilt für den zwischenmenschlichen Bereich, aber nicht für das Verhältnis zwischen Mensch und Gott. Denn Gott möchte, dass wir ihm ohne Kontrolle vertrauen, dass wir ihm blind vertrauen. Wer bei Gott ausprobieren will, ob er ihn wirklich beschützt, der hat gerade kein Gottvertrauen, denn er will ja Gott sozusagen kontrollieren. In Bezug auf Gott müsste das Sprichwort deshalb heißen: „Kontrolle ist schlecht, Vertrauen ist besser.“
Wer Gott wirklich vertraut, der wird vielmehr die Verantwortung ernst nehmen, die er als Mensch von Gott empfangen hat, ein jeder an seinem Platz – auch auf dem Fahrersitz eines Autos. Pastoren und alle anderen Verkehrsteilnehmer sollten sich die größte Mühe geben, vorsichtig und verantwortungsvoll zu handeln. Als Christen wissen wir, dass wir solches Verhalten unserem Gott schuldig sind, und wir vertrauen darauf, dass Gott es segnen wird. Gottvertrauen heißt also, unsere Verantwortung sorgfältig wahrnehmen, und nicht, sie leichtfertig Gott wieder zurückgeben. Denn „du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“. Das lässt sich leicht auf andere Lebensbereiche übertragen. So sollen zum Beispiel auch Eltern verantwortlich handeln. Sie sollen nicht Gott versuchen und sagen: Der Herr wird meine Kinder schon richtig zurechtbiegen, da brauche ich mir bei der Erziehung keine Mühe zu geben. Oder man überlässt die Kinder sowieso anderen und kümmert sich nicht darum, ob diese anderen denn auch wirklich gut erziehen. In derselben Weise sollen auch Gemeindeglieder verantwortlich handeln. Sie sollen nicht Gott versuchen und sagen: Gott wird seine Kirche auch ohne meine Anwesenheit und ohne meinen Beitrag erhalten; ich habe anderes zu tun, als mich in der Kirchengemeinde zu engagieren. So könnten wir mit vielen Beispielen fortfahren. Wir merken uns: „Du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen“, das heißt, wir sollen ihm so vertrauen, dass wir seine Güte und Liebe nicht unnötig auf die Probe stellen, sondern die Verantwortung, die er uns zumutet, selber wahrnehmen – so gut wir es können.
Nun gilt dieses Gebot aber noch in einer anderen Beziehung. Die finden wir heraus, wenn wir das Originalgebot in der Rede des Mose mit dem ganzen Satz betrachten, in dem es steht: „Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht versuchen, wie ihr ihn versucht habt in Massa.“ Was war denn in Massa los gewesen? Es war ziemlich am Anfang der Wüstenwanderung, noch vor der einjährigen Lagerzeit am Berg Sinai. Gott hatte das Volk Israel gerade aus der Sklaverei in Ägypten herausgeführt. Allerdings hatte das Leben in der Wüste auch seine Probleme. Einmal gab es nicht genug Wasser, und da flippten die Israeliten aus. Sie sehnten sich nach Ägypten zurück, wo sie wenigstens genug zu essen und zu trinken gehabt hatten. Sie haderten mit Gott und sie beschimpften Mose, den Gott ihnen als Führer vor die Nase gesetzt hatte. Sie wurden sogar handgreiflich, sie hätten Mose beinahe gesteinigt. Es war eine richtige kleine Revolution. Die Leute wollten sich nicht mehr von Gott und Mose führen lassen, sie wollten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ein Wunder machte dem ganzen Spuk schließlich ein Ende: Gott ließ reichlich Wasser aus einem Felsen quellen. Diesen Ort nannten die Israeliten dann Massa, zu deutsch: „Versuchung“. Daran erinnerte Mose viele Jahre später, als er sagte: „Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht versuchen, wie ihr ihn versucht habt in Massa.“ Was war denn das für eine Versuchung? Es war wieder ein Gott-Versuchen, das auf mangelndes Vertrauen zurückging. Wenn die Israeliten Gott vertraut hätten, dann wären sie ruhig geblieben und hätten sich gesagt: Gott wird uns hier schon nicht verdursten lassen! So aber sagten sie: Wir wollen doch mal versuchen, ob wir nicht ohne Gott besser fahren als mit ihm! Wir wollen doch mal probieren, ob es nicht alles besser läuft, wenn wir diesen Gottesboten Mose aus dem Wege räumen und den geordneten Rückzug nach Ägypten antreten – ganz gegen Gottes Plan und Willen. Wir wollen doch mal erproben, ob es uns ohne Gott nicht besser geht als mit ihm! Dieses Gott-Versuchen zeigt nicht nur einen Mangel an Gottvertrauen, sondern auch einen Mangel an Gottesfurcht.
Auch das kommt heute vielfach vor, dass Menschen auf diese Weise Gott versuchen. Die einen versuchen ihn, indem sie sagen: Mal sehen, ob Gott uns nicht beschützt, auch wenn ich mich aus meiner Verantwortung stehle und alles ihm überlasse. Die anderen versuchen ihn, indem sie sagen: Mal sehen, ob es uns nicht besser geht, wenn wir uns gegen Gott auflehnen und selber unsere Herren sind. Beides aber zeugt von mangelndem Gottvertrauen, beides ist Sünde, beides geht gegen das Gebot, das gewissermaßen das elfte ist: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ Leider kommt es immer wieder vor, dass fromme und treue Christen nach einem Schicksalsschlag Gott den Glauben aufkündigen und ohne ihn weiterleben. Sie treten aus der Kirche aus, beten nicht mehr und kümmern sich nicht mehr um sein Wort. Leider kommt es noch häufiger vor, dass Menschen sich nach und nach von Gott entfernen, schleichend gewissermaßen, fast unmerklich. Sie vertrauen immer weniger darauf, dass Gott ihnen helfen wird, und meinen immer mehr, dass sie selbst alles in die Hand nehmen müssen. Sie versuchen Gott, sie sagen: Mal sehen, ob ich ohne Gott nicht besser zurechtkomme im Leben, und ohne Bibellesen, und ohne Beten, und ohne Kirche, und ohne die Pastoren, ohne die von Gott eingesetzten Hirten. Gott selbst aber setzt klar dagegen: „Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht versuchen.“
Liebe Gemeinde, wir haben gesehen: Gott nicht versuchen heißt ihm vertrauen. Uns, die wir seit der Taufe zu Jesus Christus gehören, müsste solches Vertrauen eigentlich leicht fallen. Denn wir haben durch den Gottessohn ja die Gewissheit, dass Gott uns durch alles gut hindurchführen und in den Himmel bringen wird. Diese Gewissheit gründet in seinem Wort und braucht nicht durch Glaubens-Experimente bewiesen zu werden. Durch Jesus wissen wir: Gott liebt uns, das bedarf keiner Kontrolle. Wenn wir das Gott-Versuchen von Jesus her betrachten, dann erkennen wir: Dieses Gebot, das man fast das elfte nennen könnte, ist im Grunde nichts anderes als das erste Gebot: „Ich bin der Herr dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.“ Denn Gott nicht versuchen, das bedeutet ja nichts anderes, als was Martin Luther in der Erklärung des ersten Gebotes ausgeführt hat: „Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |