Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht versuchen

Predigt über 5. Mose 6,16 zum Sonntag Invokavit

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es wäre mal inter­essant, eine Unter­suchung bei Autofahrern an­zustellen, welche Berufs­gruppen welchen Fahrstil haben. Und es wäre dann interessant heraus­zufinden, welchen Fahrstil Pastoren haben. Allerdings kann ich mir das Ergebnis auch jetzt schon denken: Die meisten Pastoren fahren rasant, um nicht zu sagen: riskant. Leider fahre ich auch nicht gerade langsam und bin deswegen auch schon ein paarmal geblitzt worden. Was sind wohl die Ursachen für den Pastoren-typischen Fahrstil? Pastoren sind viel unterwegs, Pastoren haben es meistens eilig, Pastoren sind mit den Gedanken woanders. Und, so würde vielleicht mancher hinzufügen: Pastoren haben viel Gott­vertrauen. Aber zeugt ein riskanter Fahrstil wirklich von Gott­vertrauen? Ist Leichtsinn nicht doch etwas anderes als Gott­vertrauen? Bedeutet Leichtsinn nicht vielmehr, Gott zu versuchen?

Da sind wir auch schon bei unserem Predigt­text: „Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht versuchen“, so ermahnte Mose das Volk Israel kurz vor dem Einzug ins verheißene Land Kanaan. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“, so wiederholte Jesus dieses Gebot, wie wir es in der heutigen Evangeliums­lesung gehört haben (Matth. 4,7). Es ist die Geschichte von der Versuchung Jesu, und wir merken, dass das Thema Versuchung darin eigentlich auf zweierlei ver­schiedene Weise vorkommt: Erstens versucht der Teufel Jesus, und zweitens will Jesus nicht seinen himmlischen Vater versuchen. Der Teufel hatte ihn nämlich gerade auf­gefordert, sich von der Tempelmauer in die darunter befindliche Felsen­schlucht zu stürzen und auf diese Weise mal aus­zuprobieren, ob sein himmlischer Vater ihn unten sanft landen lässt. Jesus hält ihm entgegen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“ (das klingt fast wie ein 11.  Gebot). Nein, leicht­sinnig darf man nicht sein, auch dann nicht, wenn man denkt: Wird schon nichts passieren, Gott passt ja auf. Das ist kein Gott­vertrauen, sondern das ist ein Gott-Versuchen. Gott versuchen heißt Gott auf die Probe stellen, mal aus­probieren, ob er wirklich so gut auf mich aufpasst, wie er verspricht. Gott versuchen heißt gewisser­maßen Gott kon­trollieren wollen. Ein Sprichwort lautet: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Dieses Sprichwort gilt für den zwischen­menschlichen Bereich, aber nicht für das Verhältnis zwischen Mensch und Gott. Denn Gott möchte, dass wir ihm ohne Kontrolle vertrauen, dass wir ihm blind vertrauen. Wer bei Gott aus­probieren will, ob er ihn wirklich beschützt, der hat gerade kein Gott­vertrauen, denn er will ja Gott sozusagen kon­trollieren. In Bezug auf Gott müsste das Sprichwort deshalb heißen: „Kontrolle ist schlecht, Vertrauen ist besser.“

Wer Gott wirklich vertraut, der wird vielmehr die Ver­antwortung ernst nehmen, die er als Mensch von Gott empfangen hat, ein jeder an seinem Platz – auch auf dem Fahrersitz eines Autos. Pastoren und alle anderen Verkehrs­teilnehmer sollten sich die größte Mühe geben, vorsichtig und ver­antwortungs­voll zu handeln. Als Christen wissen wir, dass wir solches Verhalten unserem Gott schuldig sind, und wir vertrauen darauf, dass Gott es segnen wird. Gott­vertrauen heißt also, unsere Ver­antwortung sorgfältig wahrnehmen, und nicht, sie leicht­fertig Gott wieder zurück­geben. Denn „du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“. Das lässt sich leicht auf andere Lebens­bereiche übertragen. So sollen zum Beispiel auch Eltern ver­antwortlich handeln. Sie sollen nicht Gott versuchen und sagen: Der Herr wird meine Kinder schon richtig zurecht­biegen, da brauche ich mir bei der Erziehung keine Mühe zu geben. Oder man überlässt die Kinder sowieso anderen und kümmert sich nicht darum, ob diese anderen denn auch wirklich gut erziehen. In derselben Weise sollen auch Gemeinde­glieder ver­antwortlich handeln. Sie sollen nicht Gott versuchen und sagen: Gott wird seine Kirche auch ohne meine Anwesenheit und ohne meinen Beitrag erhalten; ich habe anderes zu tun, als mich in der Kirchen­gemeinde zu engagieren. So könnten wir mit vielen Beispielen fortfahren. Wir merken uns: „Du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen“, das heißt, wir sollen ihm so vertrauen, dass wir seine Güte und Liebe nicht unnötig auf die Probe stellen, sondern die Ver­antwortung, die er uns zumutet, selber wahrnehmen – so gut wir es können.

Nun gilt dieses Gebot aber noch in einer anderen Beziehung. Die finden wir heraus, wenn wir das Original­gebot in der Rede des Mose mit dem ganzen Satz betrachten, in dem es steht: „Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht versuchen, wie ihr ihn versucht habt in Massa.“ Was war denn in Massa los gewesen? Es war ziemlich am Anfang der Wüsten­wanderung, noch vor der einjährigen Lagerzeit am Berg Sinai. Gott hatte das Volk Israel gerade aus der Sklaverei in Ägypten heraus­geführt. Allerdings hatte das Leben in der Wüste auch seine Probleme. Einmal gab es nicht genug Wasser, und da flippten die Israeliten aus. Sie sehnten sich nach Ägypten zurück, wo sie wenigstens genug zu essen und zu trinken gehabt hatten. Sie haderten mit Gott und sie be­schimpften Mose, den Gott ihnen als Führer vor die Nase gesetzt hatte. Sie wurden sogar hand­greiflich, sie hätten Mose beinahe gesteinigt. Es war eine richtige kleine Revolution. Die Leute wollten sich nicht mehr von Gott und Mose führen lassen, sie wollten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ein Wunder machte dem ganzen Spuk schließlich ein Ende: Gott ließ reichlich Wasser aus einem Felsen quellen. Diesen Ort nannten die Israeliten dann Massa, zu deutsch: „Ver­suchung“. Daran erinnerte Mose viele Jahre später, als er sagte: „Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht versuchen, wie ihr ihn versucht habt in Massa.“ Was war denn das für eine Versuchung? Es war wieder ein Gott-Versuchen, das auf mangelndes Vertrauen zurückging. Wenn die Israeliten Gott vertraut hätten, dann wären sie ruhig geblieben und hätten sich gesagt: Gott wird uns hier schon nicht verdursten lassen! So aber sagten sie: Wir wollen doch mal versuchen, ob wir nicht ohne Gott besser fahren als mit ihm! Wir wollen doch mal probieren, ob es nicht alles besser läuft, wenn wir diesen Gottesboten Mose aus dem Wege räumen und den geordneten Rückzug nach Ägypten antreten – ganz gegen Gottes Plan und Willen. Wir wollen doch mal erproben, ob es uns ohne Gott nicht besser geht als mit ihm! Dieses Gott-Versuchen zeigt nicht nur einen Mangel an Gott­vertrauen, sondern auch einen Mangel an Gottes­furcht.

Auch das kommt heute vielfach vor, dass Menschen auf diese Weise Gott versuchen. Die einen versuchen ihn, indem sie sagen: Mal sehen, ob Gott uns nicht beschützt, auch wenn ich mich aus meiner Ver­antwortung stehle und alles ihm überlasse. Die anderen versuchen ihn, indem sie sagen: Mal sehen, ob es uns nicht besser geht, wenn wir uns gegen Gott auflehnen und selber unsere Herren sind. Beides aber zeugt von mangelndem Gott­vertrauen, beides ist Sünde, beides geht gegen das Gebot, das gewisser­maßen das elfte ist: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ Leider kommt es immer wieder vor, dass fromme und treue Christen nach einem Schicksals­schlag Gott den Glauben aufkündigen und ohne ihn weiter­leben. Sie treten aus der Kirche aus, beten nicht mehr und kümmern sich nicht mehr um sein Wort. Leider kommt es noch häufiger vor, dass Menschen sich nach und nach von Gott entfernen, schleichend gewisser­maßen, fast unmerklich. Sie vertrauen immer weniger darauf, dass Gott ihnen helfen wird, und meinen immer mehr, dass sie selbst alles in die Hand nehmen müssen. Sie versuchen Gott, sie sagen: Mal sehen, ob ich ohne Gott nicht besser zurecht­komme im Leben, und ohne Bibellesen, und ohne Beten, und ohne Kirche, und ohne die Pastoren, ohne die von Gott ein­gesetzten Hirten. Gott selbst aber setzt klar dagegen: „Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht versuchen.“

Liebe Gemeinde, wir haben gesehen: Gott nicht versuchen heißt ihm vertrauen. Uns, die wir seit der Taufe zu Jesus Christus gehören, müsste solches Vertrauen eigentlich leicht fallen. Denn wir haben durch den Gottessohn ja die Gewissheit, dass Gott uns durch alles gut hindurch­führen und in den Himmel bringen wird. Diese Gewissheit gründet in seinem Wort und braucht nicht durch Glaubens-Experimente bewiesen zu werden. Durch Jesus wissen wir: Gott liebt uns, das bedarf keiner Kontrolle. Wenn wir das Gott-Versuchen von Jesus her betrachten, dann erkennen wir: Dieses Gebot, das man fast das elfte nennen könnte, ist im Grunde nichts anderes als das erste Gebot: „Ich bin der Herr dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.“ Denn Gott nicht versuchen, das bedeutet ja nichts anderes, als was Martin Luther in der Erklärung des ersten Gebotes ausgeführt hat: „Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum