Unverständlich?

Predigt über Lukas 18,31‑34 zum Sonntag Estomihi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ich glaube, das ist fast allen schon mal so gegangen, die mit wachem Geist die Bibel lesen: Man liest die Worte, aber man begreift sie einfach nicht; der Sinn bleibt verborgen. Manchmal hilft da eine andere Über­setzung, denn das Deutsch der Lutherbibel ist heute nicht mehr ohne Weiteres ver­ständlich. Wo es in unserem Bibeltext heißt: „Er wird über­antwortet werden den Heiden“, da liest man in einer neuen Über­setzung: „Er wird den Fremden übergeben.“ Aber dann kann es immer noch sein, dass man nichts kapiert; eine zeitgemäße Übersetzung kann das Verstehen nicht garan­tieren. Oft helfen theo­logische und geschicht­liche Erklärungen weiter. Wenn es in unserem Bibeltext heißt: „Es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschen­sohn“, dann sollte man wissen, was die alt­testament­lichen Propheten denn über den kommenden Erlöser geweissagt haben. Man sollte auch wissen: Es geht da nicht nur um einzelne Propheten­worte wie etwa Jesajas Weis­sagungen vom leidenden und sterbenden Gottes­knecht. Es geht vor allem um das, was sich wie ein roter Faden durch das gesamte Alte Testament hindurch­zieht: Dass mit dem Erlöser Gottes neuer Bund und eine neue Heilszeit anbrechen werden. Da wird der Erlöser dann als mächtiger Friedens­könig für immer regieren. Aber aus meiner Erfahrung als Theologe muss ich sagen: Selbst dann, wenn man alle sprach­lichen und geschicht­lich-theo­logischen Fragen geklärt hat, bleibt mancher Bibeltext immer noch un­begreiflich.

Wenn wir das erfahren, dann geht es uns so wie den Jüngern Jesu mit dem verlesenen Textwort. Es heißt von ihnen: „Sie begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.“ Sie begriffen nicht, warum Jesus unbedingt nach Jerusalem reisen wollte, wenn da Leiden und Tod auf ihn warteten. Warum will Jesus gerade dahin, wo seine Feinde auf ihn lauern? Warum will er in die Höhle des Löwen? Das ist doch glatter Selbstmord! Wenn er wenigstens noch mit helden­haftem Sieges­willen dorthin gehen würde, im Bewusst­sein: „Meinen Feinden werde ich‘s schon zeigen!“ Aber so – da wäre es doch wirklich besser, er würde sich weiterhin in dünn besiedelten Gegenden verborgen halten. Jesus war für seine Jünger in diesem Augenblick ebenso un­begreiflich wie ein Manager, der seinen Mit­arbeitern ankündigt, in den nächsten Jahren würde er nur rote Zahlen schreiben und schließlich pleite machen. Mit ihrem Un­verständnis sind die Jünger Urbild und Prototyp aller kommenden Christen­generationen (wie übrigens auch in manch anderer Hinsicht).

Liebe Mit­christen, was machen wir denn mit unserem Un­verständnis? Wa sollen wir tun, wenn uns Gottes Wort un­verständlich bleibt? Mancher hilft sich so, dass er es einfach beiseite schiebt und auf sich beruhen lässt. Mancher Christ pickt sich nur die Rosinen aus dem Bibelkuchen heraus: das, was ihm schmeckt und was leicht eingeht. Denn was klar und ver­ständlich ist, das liest und hört er gern, immer wieder. Er rahmt es sich ein und hängt es an die Wand. Aber so leicht sollten wir es uns nicht machen. Gott selbst ist es ja, der uns auch schwere Worte zumutet, ebenso wie Jesus sie seinen Jüngern zumutete. Und alle neu gestylten Bibel­übersetzun­gen und alle gelehrten Bibel­lesehilfen können nicht über die Tatsache hinweg­täuschen, dass Gottes Wort manchmal richtig anstößig ist, ja geradezu schockie­rend. Es geht uns manchmal völlig gegen den Strich, es passt überhaupt nicht zu unserem normalen mensch­lichen Denken und Fühlen. Aber noch einmal: Jesus mutet es uns zu. Deshalb sollten wir nicht ausweichen, sondern um den Heiligen Geist bitten, dass er uns in das rechte geistliche Verständnis leitet.

Jesu Leidens­ankündigung hat seine Jünger damals so schockiert, weil es für sie un­begreiflich und anstößig war, dass Gottes Retter und Friedens­könig so schmählich zugrunde gehen soll. Im Nachhinein jedoch verstehen wir die Worte des Herrn, der Heilige Geist hat sie uns auf­geschlossen: Jesus musste leiden und sterben, weil er auf diese Weise die Sünden­schuld der Menschen abbüßen konnte. Und nur so, auf der Basis der Sünden­vergebung, konnte sein ewiges Friedens­reich auf­gerichtet werden. Wie gesagt, im Nachhinein ist es klar, was den Jüngern zuerst ganz anstößig war.

Und nun wollen wir mal überlegen, was das denn für uns heute bedeutet. Jesus musste leiden und sterben, um uns zu erlösen. Wir sind ihm heute dankbar dafür, dass er den Gang nach Jerusalem nicht gescheut hat und all das Schwere auf sich nahm, was zu unserem Heil diente. Wir wollen aber dabei nicht vergessen, dass wir als Getaufte in seine Nachfolge gerufen sind. Wir sind seine Jünger, und das bedeutet: Auch wir sollen das Leiden nicht scheuen und unser Kreuz tragen. Jesus hat das un­missverständ­lich und wiederholt gesagt: Wer ihm nachfolgen will, der muss sein Kreuz auf sich nehmen. Wer ein Christ sein will, muss viel Trübsal leiden. Das ist noch heute anstößig, das kapieren bis heute viele nicht. Für viele ist das Leid eher eine Anfechtung des Glaubens. Aber Gott mutet es uns zu, sowohl in seinem Wort als auch in der praktischen Lebens­erfahrung: Ein Christ muss keineswegs weniger leiden als andere Menschen, sondern mehr. Zu dem allgemeinen mensch­lichen Leid muss er nämlich auch noch an der Gott­losigkeit der Welt leiden. Wer meint, der christliche Glaube sei ein Garantie­schein für ein leichtes und erfolg­reiches Leben, der irrt sich. Es ist un­verständlich, un­begreiflich, aber es ist doch wahr: Christsein heißt, sein Kreuz tragen und leiden. Und was ist der Sinn? Was soll das, Gott?

Keine neue Bibel­übersetzung und kein theo­logisches Wörterbuch kann mir das erklären, aber Gottes Geist kann es, wenn ich ihn darum bitte. Und der zeigt mir: Das Kreuz ist das Zeichen des Herrn. Wenn ich leiden muss, heißt das keineswegs, dass Jesus fern ist, sondern vielmehr, dass er mir ganz nahe ist, direkt vor mir. Ich folge ihm, ich gehe hinter ihm her den Weg des Leids. Wer es im Glauben tut, der kann in allem Leid noch Freude haben, denn er weiß: Ich bin ganz nah bei Jesus, Jesus ist ganz nah bei mir, und das ist das Beste, was mir passieren kann.

Wer diesen Leidensweg hinter Jesus her im Glauben geht und ihn sich vom Heiligen Geist erleuchten lässt, der erkennt noch mehr: Der sieht nämlich auf das Ende. Die Jünger haben damals nicht auf das Ende geachtet, auf das Ende der Rede Jesu nämlich. Die waren von seiner Leidens­ankündigung so schockiert, dass sie gar nicht mehr mitbekommen haben: Es ist eigentlich eine Sieges­ankündigung. „Der Menschen­sohn wird am dritten Tage auf­erstehen“, hatte Jesus zum Schluss gesagt. Das heißt: Alles Leid und sogar der Tod wird dann besiegt und überwunden sein. Freilich führt zu diesem Sieg kein anderer Weg als der durch das Tal der Leiden und des Todes. Und genau dies zeigt uns der Heilige Geist, wenn auch wir leiden: Wir sind unterwegs im finstern Tal, aber am Ende des Weges warten die fröhliche Auf­erstehung und das herrliche ewige Leben.

Lassen wir uns die Worte Jesu doch so auf­schließen! Dann erkennen wir, dass hier kein Lebensmüder spricht, kein Manager, der seine eigene Pleite vorhersagt. Hier spricht vielmehr ein Landmann, der weiß, dass kostbares Saat­getreide scheinbar weggeworfen werden muss, nämlich in die Erde geworfen, um zu neuem Leben zu erwachen und Frucht zu bringen. Wie hatte Jesus doch kurze Zeit später in Jerusalem gepredigt? „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht“ (Joh. 12,24). Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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