Der Gemeinde-TÜV

Predigt über Offenbarung 2,1‑7 zum 2. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wer ein Auto hat, muss damit alle zwei Jahre zur technischen Sicherheits­kontrolle, auch TÜV genannt. Er erhält dann einen Prüf­bericht, in dem gegebenen­falls steht, welche Mängel am Fahrzeug behoben werden müssen. Der Herr Jesus Christus hat vor langer Zeit bei sieben Christen­gemeinden in Kleinasien eine Art Kirchen-TÜV durch­geführt – einen Kirchen-TÜV, der für alle Christen­gemeinden bedeutsam ist, denn sonst stünde er nicht in der Bibel. Unser Predigttext ist Christi Prüfbericht für die Gemeinde in Ephesus. Er trug seinem Apostel Johannes auf: „Dem Engel der Gemeinde in Ephesus schreibe Folgendes!“ („Engel“ steht hier für Ältester, Hirte oder Pastor.) Der amtliche Prüf­bescheid vom Herrn Jesus Christus wird also dem Gemeinde­leiter zugestellt, damit er ihn vorliest und alle ihn sich alle zu Herzen nehmen.

Am Kopf des Prüf­berichts weist sich der Prüfer als zuständiger und bevoll­mächtigter Sach­verständiger aus: „Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern.“ Der erhöhte Herr Jesus Christus selbst war dem Johannes in diesem Bild erschienen: eine herrliche Licht­gestalt inmitten von sieben Leuchtern, die die Gemeinden darstellen, und mit sieben Sternen in der Hand, die die Hirten der Gemeinden re­präsentie­ren. Das bedeutet: Eine Gemeinde ist kein eigen­mächtiger Verein, sondern sie gehört dem Herrn Jesus Christus, und der Pastor ist ganz seinem Dienst ver­pflichtet. Weder der Wille des Pastors noch des Kirchen­vorstands noch einer Mehrheit der Gemeinde­glieder darf ent­scheidend sein, sondern allein der Wille unsers Herrn. Zugleich aber ist dieses Bild ein großer Trost: Christus ist da, Christus ist nah, Christus ist mitten unter uns. Er hält uns, er lässt uns auch in schwierigen Situationen nicht im Stich.

Aber nun zum eigent­lichen Prüf­bericht. „Ich kenne deine Werke“, steht da. Jesus hat das ganze Gemeinde­leben genau im Blick, er achtet auf das Verhalten jedes einzelnen Gemeinde­glieds; niemand kann ihm etwas vormachen. Dabei würdigt er durchaus die schwierigen Umstände, mit denen die Gemeinde zu kämpfen hat: „Ich kenne deine Mühsal“, schreibt er auch. Er weiß, dass sie als Minderheit in einer heidnischen Großstadt mit besonderen Belastungen zu kämpfen haben, vor allem, weil viele Mitbürger verständnis­los, spöttisch oder sogar feindselig auf sie herabsehen. Jesus berück­sichtigt auch bei uns die besondere Situation, in der wir stehen; er kennt auch unsere „Mühsal“. Auch wir sind als Christen in Fürsten­walde und Umgebung eine Minderheit. Und selbst unter den Christen tragen wir als Lutheraner die Mühsal der Minderheit: Wir sind eine der kleinsten Kirchen­gemeinden in Fürsten­walde, und viele Mitchristen haben kein Verständnis für unseren kirchlichen Weg als bekenntnis­treue Lutheraner.

Jesus nennt in seinem Kirchen-TÜV nun zunächst einige positive Punkte. So lobt er die „Geduld“ der Christen in Ephesus. Damit ist das Bleiben im Glauben gemeint, die Treue, das Nicht-Müde-Werden, das Durchhalten auch unter schwierigen Umständen. Das Bleiben im Glauben ist ja enorm wichtig, denn wenn jemand eine Zeit lang glaubt und dann doch abfällt, verliert er das ewige Leben. Das Bleiben im Glauben ist auch eine große Heraus­forderung. Solange man gesund ist und alles gut läuft, solange man sich in der Gemeinde wohl fühlt und genau die Art von mensch­licher Zuwendung findet, die man sucht, dann ist es leicht, ein Christ zu sein. Was aber, wenn Krankheit kommt, Unglück, Stress, Unzufrieden­heit, Probleme – auch innerhalb der Gemeinde? Was, wenn die Freuden und Sorgen des Alltags uns ganz mit Beschlag belegen wollen? Bewährt sich der Glaube dann immer noch? Ist dann da immer noch „Geduld“ im Sinne von Treue und Durch­halten? Ja, liebe Gemeinde, wie sehen wir Fürsten­walder denn an diesem Punkt im Kirchen-TÜV des Herrn Jesus Christus aus? Halten wir durch, sind wir treu? Gewiss, eine hundert­sechzig­jährige Gemeinde­geschichte spricht dafür, auch die Tatsache, dass die Gemeinde vier Jahrzehnte atheisti­sche DDR-Diktatur überstanden hat. Es gibt immer noch Gemeinde­glieder, die treu die Gottes­dienste besuchen, treu das Altar­sakrament empfangen, sich treu am Gemeinde­leben beteiligen, treu ihren finanziel­len Beitrag leisten, treu mit­arbeiten. Das sieht der Herr Jesus Christus, und darüber freut er sich. Aber er sieht auch die Mängel, die schadhaften Stellen, den „Rost“: Wie viele junge Menschen haben als Kon­firmanden hier vor diesem Altar gekniet und dem Herrn Treue gelobt, und wie viele davon haben sich danach mehr oder weniger zurück­gezogen? Wie viele haben wohl noch einen äußeren lockeren Bezug zu unserer Gemeinde, der Glaube aber brennt auf Sparflamme und droht zu erlöschen? Dies sollte uns allen eine Mahnung sein, dass wir fleißiger für unsere Gemeinde beten, fleißiger die Müden und Lauen einladen, ermuntern und ermahnen.

Ein weiterer positiver Punkt in Jesu Prüfbericht für Ephesus ist dies: „Du hast geprüft, die sagen, sie seien Apostel, und sind's nicht, und hast sie als Lügner befunden.“ Die Epheser kannten Jesu Warnung vor falschen Propheten und nahmen sie ernst. Sie wussten: Immer wieder werden Menschen sehr fromm tun und den Anschein erwecken, dass sie Gottes Wort reden, in Wirklich­keit aber kommt ihre falsche Lehre vom Teufel. Es sind als Mitchristen getarnte Feinde Christi, die seine Kirche mit falscher Lehre zerstören wollen. Die Epheser haben die Verkündi­gung dieser Menschen genau geprüft anhand von Gottes Wort. Sie hatten genau hingehört und fest­gestellt: Das klingt zwar alles sehr fromm, stimmt aber nicht mit Gottes Wort überein. So haben sie nicht auf die falschen Apostel gehört. Ebenso haben sie den Lebens­wandel der sogenannten Nikolaiten zurück­gewiesen: Das waren Menschen, die sich als Christen ausgaben, aber meinten, sie hätten die Freiheit, so zu leben, wie sie wollten. Dies äußerte sich vor allem in sexueller Aus­schweifung, in Ehebruch, Unzucht und Prostitu­tion. Jesus erwähnt lobend in seinem Bericht: „Das hast du für dich, dass du die Werke der Nikolaiten hassest, die ich auch hasse.“ Wohl­bemerkt, Jesus und die Christen von Ephesus hassten ihre Werke, nicht die Personen! Wie würde Jesu Prüfbericht wohl in dieser Hinsicht bei uns ausfallen? Findet Jesus bei uns Gemeinde­glieder, die eifrig alle Lehre prüfen, die im frommen Gewand daherkommt? Etwa in Fernseh­gottes­diensten, Rundfunk­andachten oder christ­lichen Büchern? Erkennt ihr dann auch, wo der Hase im Pfeffer liegt? Wenn zum Beispiel Jesus gar nicht mehr erwähnt wird, oder höchstens als Vorbild der Mit­menschlich­keit, nicht aber als Sünder­heiland? Und bemüht ihr euch im fleißigen und ernsthaftem Studium von Gottes Wort darum, die nötigen Voraus­setzungen dafür zu erlangen, dass ihr alles an diesem Maßstab prüfen könnt? Distanziert ihr euch ebenso ernsthaft wie die Epheser von der Sünde? Hasst ihr es, wenn Menschen ohne Ehe sexuell miteinander verkehren, wenn sie sich an Porno­grafie ergötzen oder homo­sexuellen Neigungen folgen? Oder sagt ihr: „Das geht mich nichts an, das ist ja Privat­sache“? Ich fürchte, an diesem Punkt würde Jesu Kirchen-TÜV für Fürsten­walde ungünstiger ausfallen.

Aber eine Sache hatte Jesus auch in Ephesus zu be­anstanden. Er ließ schreiben: „Ich habe gegen dich, dass du die erste Liebe verlässt.“ Die erste glühende Liebe zu Jesus, als Paulus das Evangelium nach Ephesus gebracht hatte. Die aufrichtige Reue, mit der sie ihre Sünden bekannten und Jesu Vergebung empfingen. Die jubelnde Freude, mit der sie in jedem Gottes­dienst ihren Herrn lobten und ehrten. Der Eifer, mit dem sie anderen Menschen das Evangelium weiter­sagten. Die Ernst­haftigkeit, mit der sie sich um ein gott­gefälliges Leben bemühten. All das hatte zwar nicht aufgehört in Ephesus, aber es war lau geworden, träge und lustlos. Und wie steht's damit bei uns? Wo ist unser Eifer, unsere erste Liebe? Haben wir Jesus so lieb wie die Gründer unserer Gemeinde, die sich um der Wahrheit des Evangeliums willen unter großen Schmerzen und Opfern von der unierten Kirche getrennt hatten? Haben wir Jesus so lieb wie die Gemeinde­glieder am Ende des 19. Jahr­hunderts, die wirklich opferten, um dieses schöne Gotteshaus zu errichten? Haben wir Jesus so lieb wie Pastor Burgdorf, der diese Liebe besonders an behinderten Menschen erwies und die Samariter­anstalten gründete? Haben wir ihn so lieb wie die Gemeinde­glieder, die sich im Dritten Reich und später zu DDR-Zeiten trotz starkem politischem Gegenwind mutig zu ihrem Glauben bekannten und dafür auch persönliche Nachteile ein­steckten?

Was Jesus den Ephesern zurief, das gilt auch uns: „So denke nun daran, wovon du abgefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke! Wenn aber nicht, werde ich über dich kommen und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte – wenn du nicht Buße tust.“ Ja, auch das kann es geben: Dass Menschen und ganze Gemeinden bei Jesu Kirchen-TÜV durch­fallen, dass er sie verstößt, dass sie das ewige Leben verlieren und verdammt werden. Anders als beim richtigen TÜV hängt das allerdings nicht von der Einhaltung bestimmter Normen und Be­stimmungen ab, denn sonst könnte keiner selig werden: An Gottes Gesetz scheitern wir letztlich alle. Es geht aber darum, ob wir bereit sind zur Buße. Das heißt: Ob wir bereit sind, uns von Jesus prüfen zu lassen und sein Urteil an­zuerkennen. Und ob wir bereit sind, uns von ihm erneuern und verändern zu lassen. Wer dazu nicht bereit ist, der ist kein Christ, der bildet sich das höchstens ein. Im Glauben treu bleiben, das heißt letztlich, zu ständiger Buße und Erneuerung bereit sein unter dem Wort Jesu Christi. Lasst uns das gerade auch in unserer Gemeinde tun! Lasst uns Jesus um Erneuerung bitten, um Erweckung, um seinen Heiligen Geist! Bitten wir ihn für alle, die abgefallen sind, auch für alle, die lau und träge geworden sind, vor allem aber für uns selbst, besonders, wenn wir uns einbilden wollen, wir seien die wenigen Getreuen, wo es doch auch bei uns mit der Liebe nicht weit her ist. „Wer Ohren hat, der höre“, sagt Jesus. Die Mahnung geht also nicht nur die fern stehenden Gemeinde­glieder etwas an, auch nicht nur den Pastor oder den Kirchen­vorstand oder die aktiven Mit­arbeiter, sondern alle, die Ohren haben.

Am Schluss seines Send­schreibens hat Jesus noch etwas sehr Schönes und Tröstliches auf­schreiben lassen: „Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.“ Im Garten Eden durften Adam und Eva vom ersten Baum des Lebens essen, und seine Früchte waren eine Medizin gegen das Sterben. Dann kam die Sünde, die Menschen wurden aus dem Paradies vertrieben, der Baum des Lebens war ihnen nicht mehr zugänglich, und sie verfielen dem Tod. Durch Christus erlöst, dürfen wir nach dem Tod in das neue Paradies kommen und vom neuen Lebensbaum essen, der dort stehen. Da wird dann kein Tod mehr sein, kein Leid, keine Tränen, keine Sünde. Dieses herrliche Ziel ist es wert, dass wir gemeinsam unserm Herrn Jesus Christus treu bleiben – in festem Glauben, in brennender Liebe, im Kampf gegen Sünde und falsche Lehre, im Erdulden von Widrig­keiten. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2006.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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