Reformation und Reformen

Predigt über 2. Könige 22,1 – 23,30 und 2. Chronik 34,1 – 35,27 zum Reformationstag

Verlesener Text: 2. Könige 22,1a.25

Liebe Gemeinde!

Wer einen Garten hat, sollte hin und wieder Unkraut jäten. Wer ein Haus besitzt, sollte es hin und wieder renovieren. Wer einen Staat führt, sollte hin und wieder sinnvolle Reformen durch­führen. Wer in der Kirche etwas zu sagen hat, sollte sich für notwendige Er­neuerungen einsetzen. Wer ein Christ ist, sollte in ständiger Buße und Herzens­erneuerung leben, wie Martin Luther es am Anfang seiner berühmten 95 Thesen forderte, die er heute vor genau 489 Jahren in Wittenberg erstmals ver­öffentlich­te.

Wir sehen: Reno­vierungen, Reformen und Refor­mationen tun überall not. Ein biblisches Vorbild ist Josia, König in Jerusalem im 7. Jahr­hundert vor Christus, ein Zeitgenosse der Propheten Zefanja und Jeremia. Bereits im zarten Alter von acht Jahren wurde er gekrönt, hatte freilich zunächst noch nicht viel zu sagen. Mit 16 begann er, selbständig nach Gott zu fragen und nach den Grundlagen, die ihn beim Regieren leiten können.

Das sollte immer der erste Schritt einer Reform sein: dass man sich auf die Grundwerte besinnt. Wer im Garten arbeitet, sollte eine klare Vorstellung haben, wo was hingehört: Blumen, Gemüse, Rasen und der Kompost­haufen. Wer ein Haus renoviert, sollte wissen, in welchem Stil er das tut und welche Farben zusammen­passen. Wer einen Staat führt, sollte sich im Klaren sein, was er den Bürgern schuldig ist. Für Martin Luther war Grundlage und Ausgangs­punkt der Refor­mation, dass er durch fleißiges Bibel­studium den gnädigen Gott gefunden hatte, der viel lieber Sünden vergibt als sie bestraft. Heute täte es der Kirche gut, sich wieder stärker darauf zu besinnen, dass Gottes Liebe nur in seinem Sohn Jesus Christus zu finden ist. Und was die tägliche Herzens­reform des Christen angeht, so ist es gut, grund­sätzlich zu fragen: Lebe ich liebevoll und wahrhaftig?

Nach der Besinnung auf die Grundlagen machte sich König Josia zweitens daran, Götzen­dienst und Aberglauben aus seinem Land aus­zurotten. Er begann damit, als er zwanzig war. Er verbrannte Götzen­bilder, riss heidnische Kultstätten ab, verbot Wahrsagerei und Zauberei. Es ist bei jeder Reform wichtig, alles Un­brauchbare und Schlechte aus dem Weg zu räumen. Wie gesagt, wer einen Garten hat, muss Unkraut jäten. Wer ein Haus renoviert, sollte es vorher entrümpeln. Wer staatliche Reformen durchführen will, sollte erst einmal unter den bestehenden Gesetzen aufräumen: Was darin ungerecht und zu kompliziert ist, muss weg, auch alles, was auf verflossene gesell­schaftliche Verhält­nisse zu­geschnitten war und darum heute nicht mehr passt. Martin Luther hat sich bei der Reformation dafür eingesetzt, dass das Unkraut des Ablass­handels in der Kirche ausgejätet wird, denn ihm war klar: Wo der Erlass von Sünden­strafen für Geld verkauft wird, da kann man nicht glaubwürdig die Vergebung der Sünden als Gottes Gnaden­geschenk predigen. Auch heute gäbe es allerhand Unkraut in der Kirche auszujäten, zum Beispiel die Bibel­kritik, die unter dem Vorwand der Wissen­schaft Gottes Wort in Zweifel zieht. Und was die tägliche Herzens­reform angeht, da weiß hoffentlich jeder, was ausgejätet werden muss: Egoismus, Neid, Hass, Un­versöhnlich­keit und der­gleichen.

König Josia sorgte drittens auch äußerlich für Ordnung: Er ließ den ziemlich herunter­gekommenen Jerusalemer Tempel renovieren. Im Alter von 26 Jahren beauftragte er den Hohen­priester Hilkija, die Tempel­baukasse zu holen, in der sich inzwischen ein ansehn­licher Betrag angesammelt hatte. Dann gab er Anweisungen für die nötigen Arbeiten an Mauerwerk und Balken. Er tat es, weil er überzeugt war: Die inneren Reformen an Staat und Gottes­dienst müssen sich auch äußerlich an den Gebäuden zeigen; wo innere Ordnung herrschen soll, muss auch äußere Ordnung herrschen. Man sieht das auch beim Hobby-Gärtner: Wer drinnen im Geräte­schuppen aufräumt, hat meistens auch draußen einen ansehn­lichen Garten. Und wer draußen an seinem Haus Dach und Fassaden instand setzt, wird drinnen nicht mehr mit der zwanzig Jahre alten Tapete vorlieb nehmen. Im Staat ist es heute eine Binsen­weisheit, dass die äußere Prä­sentation von Politik und Reformen in den Medien ganz wichtig ist; manchmal scheint das den Politikern sogar wichtiger zu sein als die Inhalte. Dagegen ging es Martin Luther bei der Reformation fast aus­schließlich um Inhalte – aber es lag in der Natur der Sache, dass dies auch äußerliche Aus­wirkungen hatte, zum Beispiel auf die Gottes­dienst­gestaltung: Da wurde plötzlich nicht mehr lateinisch, sondern deutsch gesprochen; und alle Gemeinde­glieder tranken aus dem Abendmahls­kelch, nicht nur die Priester. In der Gegenwart ist der aufwändige Wieder­aufbau der Frauen­kirche äußeres Symbol für das innerlich erstarkte kirchliche Selbst­bewusstsein. Und für die tägliche Herzens­reform der Christen ist es schließlich auch empfehlens­wert, sie mit äußerer Ordnung zu verbinden, etwa mit festen täglichen Zeiten für Andacht und Gebet.

In der Bibel ist ausführlich dokumen­tiert, welche Mitarbeiter König Josia mit der Tempel­sanierung be­auftragte: Der Priester Hilkija sollte die Ober­aufsicht haben, ver­schiedene Handwerks­meister sollten ihren jeweiligen Fachbereich leiten und die einfachen Arbeiter be­aufsichti­gen. Wir sehen also viertens: Es ist gut, wenn Menschen bei Reformen zusammen­arbeiten und dabei gut aufgestellt sind. Auch bei der Garten­arbeit geht es besser voran, wenn viele Hände mithelfen, ebenso wie bei der Renovierung eines Hauses. Bei staatlichen Reformen ist die personelle Organi­sation eine der wichtigsten Bedin­gungen, von denen das Gelingen abhängt; was wäre z. B. eine Bildungs­reform, wenn die Lehrer dabei nicht richtig mitziehen? Auch die Reformation war keineswegs das Werk eines Einzelnen, sondern Luther hatte viele tüchtige Mit­streiter, allen voran das Sprachen­genie Philipp Melanchthon. Weil die Kirche der Leib Christi mit vielen ver­schiedenen Gliedern ist, versteht es sich bei Kirchen­reformen von selbst, dass man gut zusammen­arbeiten sollte. Sogar bei der ganz per­sönlichen Herzens­reform des Einzelnen können andere mithelfen: Ich kann andere bitten, für mich zu beten, oder ich kann sie um Rat fragen.

Bei König Josias Tempel­renovierung wurde eine alte Schrift­rolle gefunden. In ihr stand das Gesetz, das Gott durch Mose dem Volk Israel gegeben hatte. Diese Gottesworte waren zu der Zeit gänzlich verschollen gewesen. Als Josia sie sich vorlesen ließ, wurde er sehr bestürzt, denn er merkte: In vieler Hinsicht leben wir ja nicht nach Gottes Willen; wenn wir dieses Gesetz ernst nehmen, dann müssen wir uns ändern! Das gab Josias Reformeifer noch einmal einen ganz neuen Anschub. Er nahm die Androhung von Gottes Strafe in der Gesetzes­schrift ernst. Er suchte auch Weisung von Gott durch die Prophetin Hulda. Er wusste nämlich fünftens: Ich muss mich bei allem von Gott und seinem Wort leiten lassen! Das soll auch das Leitmotiv für uns Christen sein bei allem, was wir anpacken, und sei es auch nur die Garten­arbeit oder eine Wohnungs­renovierung. Im Christen­leben sollte stets die Frage gegenwärtig sein (und sei es auch nur im Hinter­grund): Ehrt es Gott und hilft es den Menschen? Auch ein christ­licher Politiker wird sich das bei staatlichen Reformen fragen, und er liegt damit ganz auf der Linie unserer deutschen Verfassung, in deren Präambel von der Ver­antwortung vor Gott und den Menschen die Rede ist. Luther gab für den Glauben die Losung „sola scriptura“ aus, „allein durch die Heilige Schrift“, und die lutherische Kirche sieht in der Bibel bis heute Gottes Wort, das für alles Lehren, Leben und Bekennen maßgeblich ist. So sind auch heute in der Kirche Reformen in erster Linie dort nötig, wo man sich über Gottes Gebote und über eine bibeltreue Auslegung der Schrift hinweg­gesetzt hat. Der einzelne Christ kann für seine Herzens­reform froh sein, dass er Gottes Wort leicht zugänglich hat, er braucht nur an seinen Bücher­schrank zu gehen, oder wo er sonst seine Bibel hat; sie ist hoffentlich nicht unter allerlei Gerümpel verloren gegangen wie damals die Schrift­rolle im Tempel.

Eine wichtige Neuerung, die Josia nach Kenntnis­nahme der Gesetzes­schrift einführte, war die jährliche Feier des Passafests. Jahr­hunderte­lang war nämlich in Vergessen­heit geraten, die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei mit dem Passafest zu begehen. Diese Reform war streng genommen keine Neuerung, sondern eine Rück­besinnung auf verloren gegangenes Alte; das ist der sechste Reform-Aspekt. Nur bei ganz wenigen Reformen wird etwas absolut Neues, nie Dagewesenes gewagt, und es ist dann auch zweifel­haft, ob damit wirklich etwas gewonnen wird. Das meiste, was bei Reformen scheinbar „neu“ eingeführt wird, hat es so oder ähnlich schon einmal gegeben. Der Gärtner kann keine neuen Pflanzen erfinden und sie anpflanzen, der Renovierer wird sich an bereits existieren­den Mustern orien­tieren. Der Politiker informiert sich, welche Erfahrungen man in anderen Staaten mit bestimmten Modellen gesammelt hat. Luther wollte zurück zur Kirche des ur­sprünglichen biblischen Evan­geliums, die unter allerlei mittel­alterlichen Entartungen verschüttet war. Und wenn wir heute im Gottes­dienst „Ein feste Burg ist unser Gott“ nach einer Melodie gesungen haben, die vielen fremd und neu erschien, so ist es doch eigentlich nur die alte und ur­sprüngliche Original­melodie, die Luther selbst komponiert hat. Auch bei der täglichen Herzens­reform ist die Umkehr eine Rück­besinnung, eine geistliche Rückkehr zur Taufe nämlich, mit der Gott uns ganz rein und heilig gemacht hat.

König Josia ist nur 39 Jahre alt geworden. Er fiel im Kampf gegen die Ägypter. Der Reformer-König hat sich also siebentens für sein Volk auf­geopfert. Nur vorder­gründig mag es so erscheinen, als hätte Gott seinen Eifer nicht belohnt, ihn vielmehr mit einem frühen Tod gestraft. In Wahrheit hat er ihm viel Leid erspart. Denn wäre Josia auch nur 51 Jahre alt geworden, dann hätte er mit ansehen müssen, wie die Babylonier Jerusalem erobern. Gott hatte ihn aber wissen lassen, dass er das be­schlossene Straf­gericht über das Volk nicht werde miterleben müssen. Jetzt ist Josia im Frieden, bei Gott geborgen. Das ist das Ziel, das Gott allen Gläubigen verheißen hat. Aber vorher müssen wir den guten Kampf des Glaubens kämpfen, müssen uns einsetzen und aufopfern. Wer einen Garten pflegt, wer ein Haus renoviert, wer einen Staat lenkt, wer in der Kirche Gottes Wort durchsetzen will oder wer auch nur sein eigenes Leben nach Gottes Willen gestalten möchte, der muss sich anstrengen, muss unter Umständen auch kämpfen und Opfer bringen. Gute Reformen sind solchen Einsatz wert. Wenn sie auch, wie alles in dieser Welt, un­vollkommen bleiben. Aber das letzte gute und vollkommene Ziel leuchtet schon am Horizont auf. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2006.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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