Isaak (III)

Predigt über 1. Mose 27,1 – 28,9; 35,27‑29

Verlesener Text: 1. Mose 35,28‑29

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein Sprichwort lautet: „Gott schreibt auf krummen Linien gerade.“ Gemeint ist: Gott führt Menschen trotz ihrer krummen Lebenswege geradewegs zu seinem Ziel. Gott biegt das, was Menschen mit ihrer Sünde krumm gemacht haben, wieder gerade. Gott nimmt unsere ver­schrobenen Menschen­herzen und unsere verrückte Welt, wie sie sind, aber er macht daraus, was ihm gefällt. Das ist das wunderbare Tun des All­mächtigen, das wir in seiner ganzen Tiefe gar nicht begreifen können.

So war es auch bei Isaak, das können wir besonders an seinem letzten Lebens­abschnitt erkennen: Gott schreibt auf krummen Linien gerade. Allerdings dürfen wir nicht auf Isaak allein schauen, sondern wir müssen seine ganze Familie in den Blick nehmen. Die Geschichte Isaaks hängt in ihrem letzten Lebens­drittel nämlich gar nicht mehr so ent­scheidend von ihm selbst ab, sondern vielmehr von den Aktivitäten seiner Frau Rebekka und seiner Kinder – und von den krummen Wegen, die sie wählten. Isaaks eigene Schwäche hingegen bestand darin, dass er die Dinge zu sehr laufen ließ, dass er nicht eingriff, dass er seine gott­gewollte Rolle als Familien­oberhaupt nicht mit der nötigen Führungs­kraft ausübte. Das ist ja in der heutigen Zeit auch oft das Dilemma: dass Ehemänner und Väter sich von der Kommando­brücke ihres Familien­schiffs verdrücken, weil sie einfach keine Lust haben, die Verant­wortung eines Kapitäns zu übernehmen. Manchmal lassen ihnen die Frauen auch gar nicht die Chance dazu, weil manche Frauen viel zu gern selbst Kapitän sein wollen.

Aber nun zum letzten krummen Drittel von Isaaks Familien­geschichte. Esau heiratete, und zwar gleich zwei Frauen auf einmal. Er war impulsiv, er handelte immer aus dem Bauch heraus, ohne groß zu überlegen, und darum ließ er sich bei der Wahl seiner Partnerin­nen aus­schließlich von äußerer Schönheit leiten. Beide Frauen waren Kanaa­niterinnen, beide dienten heidnischen Götzen. Isaak und Rebekka waren entsetzt, aber sie konnten es nicht ändern. Besonders für Isaak muss das schlimm gewesen sein, denn wir erinnern uns: Esau, der erst­geborene Zwilling, war sein Lieblings­sohn. Vielleicht trug dieser Kummer dazu bei, dass Isaak schnell alterte. Jedenfalls kam die Zeit, dass er sich ganz schwach fühlte und kaum noch aus dem Bett fand. Auch seine Augen wurden schwach, er sah fast nichts mehr. Und er meinte, er würde nun wohl bald sterben. Alle dachten das. Aber der Mensch denkt und Gott lenkt: Es dauerte noch Jahrzehnte, bis Isaak starb; er überlebte sogar Rebekka, die zu der Zeit noch sehr rüstig war.

So rüstig, dass sie mit großer Willens­kraft eine Intrige durchzog. Eine Intrige, die ihren Lieblings­sohn Jakob vor dem älteren Zwilling Esau begünstigen sollte. Die ganze Sache kam so: Isaak wusste, dass er vor seinem Tod den Ältesten mit einem besonderen Segen segnen sollte, und durch diesen Segen sollte der Ältere auch eine klare Vormacht­stellung in der Familie erhalten vor dem Jüngeren. Das war damals so üblich. Vielleicht hatte Gott Isaak auch wissen lassen, dass nur einer der beiden Zwillinge Erbe der herrlichen Abrahams-Verheißung sein würde, dass nur einer von ihnen der Stammvater jenes riesigen Volkes sein dürfte, das Kanaan in Besitz nehmen sollte und aus dem einmal Segen für alle Völker der Erde kommen würde. So trug Isaak dem Esau eines Tages auf, ein Stück Wild zu erjagen, es ihm zu­zubereiten und ans Bett zu bringen, dann würde er ihn segnen. Und nun kam Rebekkas Intrige: Sie hatte das mitbekommen und überredete Jakob, sich als Esau zu verkleiden und dem älteren Bruder zuvor­zukommen. Sie war ehrgeizig für Jakob, sie wollte, dass er den einzig­artigen Segen bekam. Jakob zögerte – nicht, weil ihn das Gewissen plagte, sondern weil er Angst hatte, dass der Schwindel auffliegt und dass er dann den Fluch seines Vaters auf sich zieht anstelle des Segens. Aber seine Mutter versprach ihm, alle Verant­wortung auf sich zu nehmen. So wurde er auf Initiative seiner Mutter hin das, was sein Name bedeutet: nämlich hinter­listig.

Als Jakob mit dem Essen zu Isaak ans Bett kam, wurde Isaak miss­trauisch. So schnell war Esau von der Jagd zurück? Das war doch kaum möglich. Außerdem klang Esaus Stimme fremd. So fragte er Jakob unsicher: „Wer bist du, mein Sohn?“ Und Jakob schämte sich nicht, seinem blinden Vater dreist ins Gesicht zu lügen: „Ich bin Esau, dein erst­geborener Sohn.“ Isaak roch und fühlte Jakobs Verkleidung und ließ sich täuschen. Er aß, und dann segnete er seinen Sohn. Bald darauf kam Esau von der Jagd zurück, bereitete seinerseits ein Essen zu und brachte es seinem Vater. Da kam natürlicher alles heraus. Isaak nahm es ziemlich gleichmütig hin, dass er von seinem Jüngsten so betrogen worden war, aber Esau war außer sich. Er schrie, er weinte, er bettelte um eine Wieder­holung des Segens für sich, und er schmiedete furchtbare Rachepläne gegen Jakob. Er sagte: „Bald ist mein Vater tot, dann bringe ich Jakob um, und dann werde ich doch der Chef in der Familie!“

Rebekka bekam von Esaus Plänen Wind. Sie fürchtete für das Leben ihres Lieblings­söhnchens Jakob. Und wieder war sie es, die die Initiative ergriff und ihre Intrige weiter trieb. Jakob musste dem jähzornigen Esau aus den Augen geschafft werden. Da bot sich ein vorüber­gehender Aufenthalt bei ihren Verwandten in Haran an, die ihn gewiss gern aufnehmen würden. Die ganze Sache musste nur noch Isaak geschickt verkauft werden, damit er zustimmte. So sagte Rebekka zu Isaak sinngemäß etwa so: „Sieh mal, Isaak, wir sind doch so traurig, dass der Esau hier zwei heidnische Frauen aus Kanaan geheiratet hat. Das soll mit Jakob nicht passieren; er soll mal eine Frau kriegen, die den Herrn unsern Gott fürchtet. Lass ihn doch ins Zweistrom­land zu meinen Verwandten ziehen, damit er dort eine Frau findet!“ Isaak, der Kapitän des Familien­schiffes, ließ sich auch hier wieder das Kommando von seiner Frau aus der Hand nehmen, und gehorsam schickte er Jakob auf die Reise. Aber er stand zu dem Segen, den er, wenn auch irrtümlich, über ihn gesprochen hatte. Oder vielmehr: Gott stand zu seinem Segen! Denn es war ja Gottes Plan, dass gerade der Zweite, der Jakob, der Hinter­listige Verheißungs­träger des Segens sein sollte. Gerade der! Gott schreibt auf krummen Linien gerade. Und so betonte Isaak bei seinem Abschieds­wort an Jakob noch einmal aus­drücklich: „Gott gebe dir den Segen Abrahams, dir und deinen Nachkommen mit dir, dass du besitzest das Land, darin du jetzt ein Fremling bist.“

Auch Rebekka musste sich von ihrem Lieblings­sohn ver­abschieden, und das wird ihr nicht leicht gefallen sein. Sie hat ihn in ihrem ganzen Leben nie wieder­gesehen. Das hatte sie nun von ihrer Intrige! Auch wenn Gott auf krummen Linien gerade schreibt, recht­fertigt das nicht die krummen Linien. Auch wenn Gott Sünden vergibt, macht das die Sünde keineswegs harmlos. Wie Rebekka mit ihrer Intrige und Jakob mit seiner hinter­listigen Lüge sich selbst und anderen viel Kummer und Leid geschaffen haben, so tut sich niemand einen Gefallen, der den Weg der Sünde geht. Das gilt auch dann, wenn Gott am Ende vergibt und alles gut macht.

Zwanzig Jahre lang war Jakob von zu Hause fort. Er arbeitete hart, er heiratete zwei Frauen, er bekam zwölf Söhne, er wurde reich. Als er nach Kanaan zurück­kehrte, war seine Mutter schon gestorben, und der Zorn seines Bruders Esau war verraucht. Die beiden vertrugen sich wieder. Isaak lebte noch immer, viel länger, als er selbst gedacht hätte. Es gab ein herzliches Wiedersehen mit Jakob. Isaak hatte noch ein ganze Weile Freude an seinen Söhnen und auch an seinen Enkel­kindern. Schließlich starb er, „alt und lebens­satt“, wie es heißt, und wurde von seinen beiden Zwillingen begraben in dem Familien­grab, in dem bereits Sara und Abraham ruhten. „Er wurde versammelt zu seinen Vätern“, heißt es. Zu seinen Vätern? Eigentlich war doch nur Abraham an derselben Stellen begraben, die anderen Vorväter ruhten anderswo. „Versammelt zu seinen Vätern …“ – es geht bei dieser Redewendung gar nicht um den Ort für den toten Leib, es geht vielmehr um das Leben, das Gott nach dem Tod bereit hält. Hier predigt Gottes Wort bereits die Auf­erstehung der Toten zum ewigen Leben! Hier werfen wir bereits einen Blick in den Himmel, wo alle Menschen, die zu Gott gehören, in Freude und Eintracht versammelt sein werden, von Adam angefangen über Abraham und Isaak bis hin zu den Christen­menschen, die wir noch persönlich gekannt haben und die vor uns diese Welt verließen.

Auch uns möchte Gott versammeln zu den Vätern, auch uns möchte Gott einmal bei sich im Himmel haben. Das ist das große Ziel seiner großen Heils­geschichte. Darum hat Gott Abraham, Isaak und Jakob erwählt, darum hat er ihnen den Segen verheißen, darum hat er aus ihrem Geschlecht das Volk Israel werden lassen und darum hat er im Volk Israel den Heiland Jesus Christus zur Welt gebracht. Nur darum: Damit durch Jesus gesegnet werden alle Völker auf Erden. Damit durch Jesus allen Völker das Evangelium gepredigt werde und Menschen aus allen Völkern durch Taufe und Glaube zu seinen Jüngern werden. Damit durch Jesus alle Christen Vergebung der Sünden empfangen und würdig werden, das ewige Leben zu erben. Damit durch Jesus alle Christen selig werden und in den Himmel kommen. Das ist das Gerade, was Gott auf den krummen Linien von Menschen­schicksalen schreibt – auf den krummen Linien des Lebenswegs von Isaak und seiner Familie und auf den krummen Linien unserer Lebenswege. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2006.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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