Alt werden und sterben

Predigt über Prediger 12,1‑8 zum 1. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Fast jeder zweite Deutsche ist inzwischen ein „Senior“, also ein älterer oder alter Mensch. Und man rechnet damit, dass in nicht allzu ferner Zukunft viele Menschen die Hälfte ihres Lebens als „Senioren“ verbringen werden – so sehr soll die durch­schnittliche Lebens­erwartung steigen. Daher ist es kein Wunder, wenn über das Alter gegenwärtig viel nachgedacht und noch mehr geredet wird. Unsere Selb­ständige Evangelisch-Lutherische Kirche hat sogar einen eigenen Senioren­pastor benannt, den Pfarrer im Ruhestand Horst Nickisch. Auf der Kirchen­bezirks­synode im Mai hat er überzeugend dargelegt: „Alten­arbeit ist heute die halbe Gemeinde­arbeit!“ Wir liegen also voll im Trend, wenn wir uns jetzt mit dem Alt-Werden be­schäftigen und mit dem, was danach kommt, mit dem Sterben nämlich. Das Sterben darf man ehrlicher­weise nicht ver­schweigen, wenn man übers Alter spricht. Holen wir uns nun Anleitung für das Alt-Werden und Sterben vom König Salomo, dem Verfasser unseres Predigt­textes und des ganzen Bibelbuches „Prediger Salomo“ bzw. „Kohelet“. Da finden wir guten Rat – nicht nur, weil Salomo selbst schon ein Senior war, als er diese Worte schrieb, und nicht nur, weil er einer der weisesten Menschen der Welt­geschichte war, sondern vor allem deshalb, weil Gottes Geist ihm diese Erkennt­nisse geschenkt hat und weil das, was er auf­geschrieben hat, Gottes Wort ist. Lasst uns unter diesem Gotteswort jetzt drei Dinge bedenken: 1. Wie Salomo über das Altwerden und Sterben schreibt, 2. Wozu Salomo über das Altwerden und Sterben schreibt, 3. Was Salomos Worte über das Altwerden und Sterben für uns bedeuten.

Erstens: Wie schreibt Salomo über das Altwerden und Sterben? Salomo schreibt wunder­schöne, aber schwer ver­ständliche Worte. Und er beschönigt nichts, er sagt nicht: „Man ist so jung, wie man sich fühlt.“ Nüchtern schreibt er über das Alter als Problem, als Belastung und Heraus­forderung. Wir lesen: „Es kommen schwere Tage / und es nahen Jahre, da du wirst sagen: ‚Sie gefallen mir nicht.‘“ Er vergleicht das Alter mit dem Winter­halbjahr in Palästina, das im Gegensatz zum Sommer un­gemütlich, kalt und regnerisch ist. Sonne, Mond und Sterne bleiben dann hinter dicken Wolken verborgen, und ein Regen­schauer jagt den anderen. Das ist der Lebens­abschnitt, „wenn die Hüter des Hauses zittern“: Die starken Arme, mit denen man früher für den Broterwerb gearbeitet und sich gegen Feinde verteidigt hat, sind schwach und zittrig geworden. Das ist der Lebens­abschnitt, „wenn die Starken sich krümmen“; gemeint sind die Beine, die schon unzählige Kilometer hinter sich gebracht haben; nun sind sie krumm geworden, die Kniegelenke schmerzen, und das Laufen fällt schwer. Das ist der Lebens­abschnitt, „wenn müßig stehen die Mülle­rinnen, weil es so wenige geworden sind“; gemeint sind die Zähne, von denen die meisten schon ausgefallen sind; der Rest ist kaum mehr in der Lage, feste Nahrung zu zer­kleinern. (Da merken wir, dass wir im Zeitalter der Zahn­prothese doch einen wesent­lichen Vorteil haben gegenüber Salomo!) Das ist der Lebens­abschnitt, „wenn finster werden, die durch die Fenster sehen“; die Augen werden schwach und trübe. Das ist der Lebens­abschnitt, wenn man schlecht hört und die Stimme brüchig wird, „wenn die Türen an der Gasse sich schließen, dass die Stimme der Mühle leiser wird, und wenn sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesangs sich neigen.“ Klettern, Treppen steigen, wandern, in der Jugend ein Kinder­spiel, ist auch nicht mehr drin: Man fürchtet sich jetzt vor Höhen, es wird einem unterwegs schwindlig. Ja, und dann kommt der Zeitpunkt, wo das Leben nur für die anderen weitergeht, wo es nur für die anderen wieder Frühling und Sommer wird: „Wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich wieder regt und die Kapern­früchte auf­brechen“, aber der Sterbende muss für immer Abschied nehmen, er kann nicht mehr neue Tage und Jahre aus dem Brunnen der Zeit schöpfen. Der Strick reißt, die Schöpf­geräte zerbrechen, und die morsche Seilwinde zerfällt. Als Gott den Menschen schuf, hat er den Elementen der Erde seinen Geist ein­geblasen, er hat dem toten Leib eine Seele gegeben. Im Sterben macht er das wieder rückgängig: „Der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, / und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat“, so formuliert es Salomo. Und er fügt hinzu, was sich wie ein Refrain durch sein Buch zieht: „Es ist alles ganz eitel, spricht der Prediger, ganz eitel.“ Eitel, nichtig, sinnlos, belanglos – das sagt der König Salomo, der weiseste und reichste Mensch seiner Zeit! Aber er hat im Laufe seines Lebens fest­gestellt: Weisheit ist belanglos – man wird alt, man stirbt, und die Welt bleibt im Wesent­lichen so verrückt, wie sie ist. Reichtum und Genuss sind ebenfalls belanglos – wer jeden Tag Sahnetorte isst, dem macht das schließlich keine Freude mehr, und er wird wie jeder andere alt und stirbt. „Es ist alles ganz eitel“ – so schreibt Salomo über das Alt-Werden und Sterben.

Wir kommen nun zweitens zu der Frage: Wozu schreibt Salomo über das Alt-Werden und Sterben? Er schreibt nicht, um einfach seinen Frust hinaus­zulassen. Er schreibt auch nicht für andere alte Leute, jedenfalls nicht aus­schließlich. Er schreibt seine Erkennt­nisse über das Alt-Werden und Sterben vor allem für junge Menschen auf. Der Abschnitt beginnt mit den Worten: „Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage (des Alters) kommen.“ Er möchte, dass junge Menschen nicht blindlings und gedankenlos in den Tag hineinleben – so, als würde das Leben in ewiger Jugend weiter­gehen. Er warnt die Jugend auch vor hochmütiger Selbst­über­schätzung, als könnten sie, anders als alle Gene­rationen vor ihnen, die Welt in Ordnung bringen. Er warnt die Jugend: Schnell sind die Kräfte weg, schnell ist das Alter da, und ehe du dich's versiehst, ist dein Leben um! Wie schnell, das erlebt man zum Beispiel bei Profi-Fußball­spielern. Bei der Eröffnung der dies­jährigen Fußball-Welt­meister­schaft mar­schierten die Fußball­helden früherer Jahre ins Münchner Olympia­stadion ein – das heißt, eigentlich gingen sie gemächlich, teilweise auch mit Mühe, oder wurden sogar im Rollstuhl geschoben. Wer als Profi-Fuballer Mitte dreißig ist, der steht schon am Ende seiner Karriere – „wenn die Starken sich krümmen“, wie Salomo es formuliert, wenn die Beine nicht mehr so wollen, wie sie sollen. Aber wozu soll die Jugend solches bedenken? Will Salomo ihnen den Spaß verderben? Keineswegs, im Gegenteil, wenige Verse vorher fordert er jeden jungen Menschen auf: „Freue dich deiner Jugend!“ Nein, Salomo bezweckt etwas ganz anderes: Er will einen Ausweg zeigen aus dem „eitlen“ Kreislauf des Erden­lebens, das im Alter seine ganze Belang­losigkeit offenbart. Er will einen Ausweg zeigen aus der scheinbaren Sinn­losigkeit unserer Welt. „Denk an deinen Schöpfer“, schreibt er, und damit gibt er der Jugend den ent­scheidenden Hinweis, gewisser­maßen einen Link, den sie anklicken kann, um von einem belanglosen Leben zu einem sinnvollen Leben zu kommen. Denk an deinen Schöpfer! Denk an Gott, der über allen Dingen steht! Denk daran, dass er dich gemacht hat! Nimm dein Leben als sein Geschenk an, als seine Gabe! Freu dich darüber, freu dich daran, danke ihm dafür, lobe ihn! Und sieh dein Leben zugleich als seine Aufgabe an! Lebe so, wie er es von dir erwartet: Lebe aufrichtig und aufopfernd, lebe in der Wahrheit und in der Liebe! Junge Leute sollen sich nicht einbilden, dass das Leben aus sich selbst heraus befriedigt, diese Täuschung wird durch das Alt-Werden und Sterben enttarnt. Stattdessen sollen junge Leute ihr Leben schon frühzeitig als Gottes Gabe und Gottes Aufgabe betrachten lernen, und die Älteren sollen sie dazu anleiten und ihnen dabei helfen – dazu schreibt Salomo über das Alt-Werden und Sterben!

Zum Schluss die dritte Frage: Was bedeuten Salomos Worte über das Alt-Werden und Sterben für uns? Mancher von euch mag jetzt denken, das ist doch schon mit der zweiten Frage geklärt, dazu gibt es doch nichts weiter zu sagen außer „Amen“. Aber es gibt doch noch etwas anderes dazu zu sagen, etwas Ent­scheidendes sogar. Mit der Auf­forderung: „Denk an deinen Schöpfer!“ hat Salomo nämlich zugleich einen Link gesetzt, der weit über seine eigene Zeit hinaus verweist auf die Zeit, als der Schöpfer seinen eigenen Sohn in die Welt sandte, um diese zu erlösen. „Denk an deinen Schöpfer“, das schließt heute für Jung und Alt die Auf­forderung ein: Denk daran, wie der Schöpfer ein Mensch geworden ist! Denk daran, was er durch Jesus Christus gesagt und getan hat! Denk daran, wie er durch ihn alle deine Sünden vergeben hat! Erst wenn wir so an den Schöpfer denken, können wir unser Leben als Gottes Aufgabe ansehen, ohne dabei zu ver­zweifeln. Denn an dieser Aufgabe scheitern letztlich alle, Junge und Alte, und finden nur dann Rettung und Frieden mit Gott, wenn sie durch Jesus seine Barm­herzigkeit kennen­lernen. Die aber bleibt in Ewigkeit. Alle, die zu Jesus gehören, empfangen Vergebung ihrer Sünden und werden ewig leben, das hat der Schöpfer ver­sprochen. Und so überwinden wir mit Jesus das eitle Schicksal des Sünders, das Schicksal des Alt-Werdens und Sterbens. Und wenn der Tag kommt, an dem Gott deine Seele von deinem Leib trennen wird, dann bedeutet das nicht, dass Schöpf­gefäße, Strick und Seilwinde deines Lebens­brunnens nun für immer zerbrechen. Es bedeutet nur, dass du künftig in einer neuen Welt Wasser aus dem Lebens­brunnen schöpfen wirst, mit neuem Gerät, mit einem neuen Leib – in einer Welt, wo das Alt-Werden und Sterben kein Thema mehr ist. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2006.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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