Die Macht des Menschensohns

Predigt über Daniel 7,9‑14 zum Himmelfahrtstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Himmelfahrt unseres Herrn Jesus Christus hat weniger mit Luft- und Raumfahrt zu tun, als man auf den ersten Blick denken könnte. Bei der Luft- und Raumfahrt heben sich Menschen mittels bestimmter Maschinen in die Luft zu bestimmten Zwecken: Als Transport­mittel, für Luftbilder oder aus anderen Gründen. Die Himmelfahrt Jesu dagegen hatte nicht den Zweck, Jesus in den Himmel zu seinem Vater zu befördern, denn Gottes Himmel ist ja nicht ein räumlicher Ort. Nein, vielmehr war Jesu Himmelfahrt ein Zeichen. Den Jüngern Jesu und allen Christen soll damit deutlich gezeigt werden: Jesus herrscht nun in Ewigkeit zur Rechten seines Vaters. Nicht Mittel zum Zweck, sondern Zeichen ist die Himmelfahrt des Herrn.

Vieles in der Bibel will in solcher Weise als Zeichen gedeutet werden, so auch die Träume der alten Propheten. So auch der Traum des Propheten Daniel, den ihm Gott schickte und den er dann auf­geschrieben hat – einen Teil davon haben wir als Predigttext gehört. Jede Einzelheit, die Gott Daniel gezeigt hat und die wir in der Bibel nachlesen können, ist ein Zeichen. Jede Einzelheit hat eine übertragene geistliche Bedeutung, die wir ent­schlüsseln sollen. Das wollen wir jetzt tun.

Immer wenn es bei Daniel heißt: „Ich sah“, dann fängt ein neuer Abschnitt in seinen Träumen an. Er schreibt: „Ich sah, wie Throne aufgestellt wurden, und einer, der uralt war, setzte sich.“ Throne sind Zeichen für Herrschaft und Gericht. Auf einem Thron sitzt der König, wenn er vollmächtig urteilt, und seine Berater sitzen neben ihm. Für den antiken Menschen war es ganz klar: Die Herrschen­den sitzen, die Unter­gebenen stehen. Gott selbst, der König aller Könige, wird hier bezeichnet als „einer, der uralt war.“ Dies ist ein Zeichen seiner Ewigkeit, zugleich auch ein Zeichen seiner Würde. Für den antiken Menschen war völlig klar, was heute noch in Afrika gilt: Je älter ein Mensch ist, desto mehr Ehre gebührt ihm. Gott selbst also, so zeigen die Zeichen dieses Traumes, schickt sich an, Gericht zu halten.

Nun beschreibt Daniel Gott aber mit noch mehr Zeichen, die ihm im Traum gezeigt worden waren: „Sein Kleid war weiß wie Schnee und das Haar auf seinem Haupt rein wie Wolle; Feuer­flammen waren sein Thron und dessen Räder loderndes Feuer. Und von ihm ging aus ein langer feuriger Strahl.“ Immer wieder in der Bibel erscheint Gott im Zeichen des Lichts, der Helligkeit, der weißen Farbe. Gottes erstes Schöpfungs­werk war das Licht, und sein Sohn bezeugte von sich: „Ich bin das Licht der Welt.“ Rein ist Gott, heilig ist Gott, allwissend ist Gott, vor seinem Licht bleibt nichts im Dunkeln verborgen – all dies ist damit ausgesagt. Auch das Feuer ist ein Zeichen für Gott. Am brennenden Busch erschien er Mose im Feuer, am Berg Sinai erschien er in gleicher Weise dem ganzen Volk Israel. Das Feuer als Gottes­zeichen zeigt: Der Herr hat Macht wie eine lodernde Flamme. In seinen Gerichten scheidet er Gut und Böse so, wie ein Läuterungs­feuer das reine Gold durch Schmelzen von den un­erwünschten Schlacken reinigt. Und schließlich ist Gottes Liebe so heiß wie ein glühendes Feuer. Interessant auch, dass Gottes Thron sozusagen ein Rollstuhl ist; er hat Räder, so hat es Daniel gesehen. Damit wird deutlich, dass Gott nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist, sondern dass er und sein Himmel all­gegenwärtig sind; er fährt überall hin und bleibt zugleich überall auf dem Thron!

Nun schaut Daniel in seinem Gesicht auch die Menge der dienstbaren Geister um Gottes Thron, die Menge der Engel: „Tausenmal Tausende dienten ihm.“ Und er schaute auch, was selbst uns noch bevorsteht, weil unsere Welt zvor vergehen muss: „Zehn­tausend mal Zehn­tausende standen vor ihm. Das Gericht wurde gehalten, und die Bücher wurden aufgetan.“ Wer die Bibel ein wenig kennt, der weiß, was das für Bücher sind: Es sind die Taten aller Menschen, das Gute und das Böse, das einst alles vor Gottes Gericht offenbar werden wird.

Nun hat Daniel in den Versen davor bereits von vier merk­würdigen Tieren geschrieben und von einem Horn, das aus dem vierten Tier herauswuchs und wie ein selb­ständiges Lebewesen sprechen konnte. Auch dies muss wieder als Zeichen gedeutet werden. Das Horn ist in der antiken Welt ein Zeichen der Macht. Es geht hier also um einen weiteren Machthaber neben Gott. Wenn man der Sache auf der Grund geht, erkennt man: Das Horn sowie auch die Tiere stehen letztlich für den Satan, der sich Macht gegenüber Gott anmaßt. Und genauso wie es bei Menschen ist, die sich eine Macht anmaßen, die sie in Wirklich­keit gar nicht haben, so ist das auch bei diesem Horn bzw. beim Teufel: Er schwingt große Reden! Daniel schrieb: „Ich merkte auf um der großen Reden willen, die das Horn redete, und ich sah, wie das Tier getötet wurde und sein Leib umkam und ins Feuer geworfen wurde. Und mit der Macht der anderen Tiere war es auch aus; denn es war ihnen Zeit und Stunde bestimmt, wie lang ein jedes leben sollte.“ Die Botschaft ist deutlich: Der Herr in seiner über­ragenden Macht hat die Macht des Teufels begrenzt, hat ihr ein Ende gesetzt. Am Tag des letzten Gerichts ist der Teufel der erste, der gerichtet und seiner angemaßten Macht beraubt wird.

Wir sehen nun sehr deutlich, dass es sich in diesem ganzen Traum­gesicht Daniels letztlich um die Frage dreht: „Wer hat eigentlich Macht?“ Nicht nur bei Daniel, sondern in den meisten anderen Büchern der Bibel dreht sich alles um die Machtfrage. Und, liebe Gemeinde, es ist auch in der heutigen Zeit bei uns immer noch die ganz wichtige Frage: Wer hat die Macht? Wer hat den Hut auf? Wer steht am Ruder? Wer die Macht hat, kann was machen, und die anderen müssen sich danach richten. Lange Zeit hatten Könige die Macht, aber heute sind die meisten Könige nur noch Dekoration für ansonsten demo­kratisch geführte Staaten. Haben also die Politiker die Macht? In gewisser Weise ja. Aber wer hinter die Kulissen schaut, der weiß: Die Politiker müssen sich in vielerlei Hinsicht nach anderen richten, sie können nicht einfach machen, was sie wollen. Sie sind abhängig von der Gunst der Wähler, abhängig von gesellschaft­lich bedeutenden Interessen­gruppen, abhängig nicht zuletzt auch vom Geld bzw. von denen, die darüber im großen Stil verfügen. Wer das große Geld hat, so scheint es, hat heute die Macht; wer das große Geld hat, kann machen, was er will. Und manchmal haben wir auch den Eindruck: Das Böse hat die Macht, weil so vieles in der Welt schief läuft. Das Horn mit dem großen Maul hat die Macht, würde Daniel sagen. Immer wieder werden wir in der Bibel darauf gestoßen, dass der Teufel große Macht hat – scheinbar jedenfalls. Und immer wieder sind fromme Menschen ins Zweifeln gekommen, ob denn Gott überhaupt noch am Ruder ist oder ob der Teufel ihn nicht schon längst abgelöst hat, so wie es in der Welt zugeht. Das war in der Geschichte des Volkes Israel nicht anders als bei den ersten Christen, und auch in der heutigen Zeit hat es manchmal diesen Anschein. Wo bleibt Gottes Macht? Wo hat Jesus seinen Einfluss? Wie ist es um seine Kirche bestellt, um uns Christen? Sieht es da nicht eher kümmerlich aus? Keine Macht, kein Geld, kein jugend­licher Schwung, kein machtvoller Einsatz?

Genau gegen solche An­fechtungen hat der Prophet Daniel diesen Traum geschenkt bekommen, und genau gegen solche An­fechtungen hat er ihn in der Kraft des Heiligen Geistes auf­geschreiben. Die ent­scheidende zeichen­hafte Information erhalten wir dabei in den letzten beiden Versen unseres Predigt­textes: „Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels, wie eines Menschen Sohn, und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Der gab ihm Macht, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker und Leute aus so vielen ver­schiedenen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende.“ Da hat Daniel ganz deutlich den Christus voraus­gesehen, der sich selbst denn auch als „Menschen­sohn“ be­zeichnete. Vor dem hohen Rat der Juden bezeugte er: „Ihr werdet den Menschen­sohn kommen sehen auf den Wolken des Himmels“ (Matth. 26,64). Nachdem er für uns gestorben und auf­erstanden war, da bestätigte er: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden“ (Matth. 28,18). Als er mit der Wolke in den Himmel aufgehoben wurde, da bezeugten Engel den Jüngern: „Dieser Jesus wird so wieder­kommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen“ (Apostel­gesch. 1,11). Von ihm ist bezeugt, dass er sich zur Rechten des Vaters gesetzt hat, mit ihm herrscht und mit ihm richtet. So bekennen es die Gläubigen in vielen Völkern und Sprachen von Christus, wenn sie schon seit vielen Jahr­hunderten unverändert bekennen: „Auf­gefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Er ist der König über alle Könige, er ist der Herr aller Herren. Er hat alle Macht – auch wenn sie jetzt noch verborgen ist unter der Gestalt des Kreuzes, in Schwachheit und Armut seiner Kirche und seiner Gläubigen. Er hat die Macht, er kann alles machen. Und vor allem: Seine Macht ist ewig, seine Macht hat den längsten Atem. Die Macht der antiken Könige ist längst vergangen; Nebukad­nezar, Alexander, Cäsar oder Konstantin haben keine Einfluss mehr. Die Macht des Klassen­kampfes ist verraucht, die Macht des Kapitals wird auch vergehen, und am Ende der Zeit, wenn Christus mit den Wolken des Himmels zum Gericht wieder­kommt, dann wird auch der Teufel seinen angemaßten Macht­anspruch aufgeben müssen. „Jesus Christus herrscht als König, alles wird ihm untertänig, alles legt ihm Gott zu Fuß.“ Er hat das letzte Wort, er behält die Macht, so ist es der Wille des Vaters im Himmel. Alle Träume, Worte und histori­schen Zeichen ein­schließlich der Himmelfahrt deuten darauf hin. Und wir dürfen zu ihm gehören, der die Macht hat, zu Jesus Christus, dürfen uns bei ihm ganz sicher und geborgen fühlen! Ist das nicht wunderbar?

Weil Jesus gen Himmel gefahren ist, sind auch unsere Herzen, die Herzen der Gläubigen, schon im Himmel, so heißt es in vielen Himmel­fahrts­liedern. Dass unsere Herzen jetzt schon im Himmel sind, bedeutet nicht, dass wir weltfremd sind oder dass uns die Frage nach den Macht­verhältnis­sen in dieser Welt nichts mehr anginge. Es bedeutet aber, dass wir mit dem verbunden sind und ewig verbunden bleiben, der in den Himmel augefahren ist und die größte Macht hat: die Macht, die in Ewigkeit bleibt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2006.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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