Kindlich im Nehmen, erwachsen im Geben

Predigt über 1. Petrus 2,2 zum Sonntag Quasimodogeniti

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir sind Babys. Jedenfalls im über­tragenen Sinn. „Wie neugeborene Kinder seid begierig nach der ver­nünftigen lauteren Milch!“, so redet uns Gottes Wort an. „Wie neugeborene Kinder“, auf lateinisch „quasi modo geniti“ – von daher hat der heutige Sonntag seinen Namen. Wir sind Babys und sollen uns kräftig nach der Milche sehnen, wie das bei gesunden Säuglingen nun mal üblich ist.

Was ist denn das aber für Milch – im über­tragenen Sinn? „Ver­nünftige Milch“ heißt es in Luthers Über­setzung. „Geistige Milch“, übersetzte Hermann Menge. Ganz wörtlich übersetzt steht da „wortgemäße Milch“, „Logos-gemäße Milch“. Und da haben wir den ent­scheidenden Hinweis, um was für eine Milch es sich handelt: Es geht um Gottes Wort! Und es geht besonders um Gottes Fleisch gewordenes Wort Jesus Christus und um seine frohe Heils­botschaft, das Evangelium. Danach sollen wir begierig sein wie Babys nach der Mutter­milch. Da ist alles drin, was wir brauchen, um als Christen zu leben und im Glauben zu wachsen – ebenso wie die Muttermilch alles enthält, was Säuglinge so brauchen. „Lauter“ soll sie freilich auch sein, die Milch von Gottes Wort, das heißt „un­verfälscht“. Sie soll nicht gepanscht sein mit Menschen­weisheit oder kritischen Gedanken, nicht aufgepeppt oder künstlich gesüßt. Ganz schlimm ist es, wenn der nach Milch begierige Christ nur Kindertee angeboten bekommt, irgend­welche netten Geschicht­chen und Gedanken, die aber mit dem Evangelium von Jesus nichts zu tun haben. Das mag den Säugling für eine Weile ruhig stellen, ihn nähren und wachsen lassen kann das nicht.

Doch zurück zur un­verfälsch­ten Milch. Wir sehen an diesem Bild: Gottes Wort ist mehr eine Nahrung als eine In­formation. Wenn ich hier von dieser Kanzel immer wieder dasselbe Evangelium von Jesus dem Sünder­heiland predige, dann nicht, weil ich euch für beschränkt halte und denke, ihr habt's immer noch nicht kapiert. Nein, sondern dann gebe ich euch jedesmal das Fläschchen mit Gottes Milch – jedenfalls im über­tragenen Sinn. Denn ich bin überzeugt: Das braucht ihr, das braucht jeder Christ immer wieder, sonst kann der Glaube nicht wachsen, ja, er wird sonst letztlich verhungern. Dass Gottes Wort Glaubens­nahrung ist, das sehen wir auch ganz deutlich am Sakrament des Altars. Denn die Wirkkraft des Abendmahls steckt in dem Wort, das aus Brot und Wein Leib und Blut Jesu macht. Das essen wir dann und trinken und wachsen im Glauben. Seid also begierig nach Gottes Wort, seid begierig nach Bibelworten und Predigten, seid begierig nachd dem Heiligen Abendmahl! Nichts anderes wollte Jesus sagen, als er seine Jünger auf­forderte: „Nehmt, esst, trinkt, tut solches!“

Oft sagen mir Leute: Ich geh nicht zum Gottes­dienst, ich brauche kein Abendmahl, aber ich bete zu Hause, dadurch wird mein Glaube stark! Kann Beten den Glauben stärken? Überlegen wir mal: Beten ist reden mit Gott, manchmal auch schreien zu Gott. Und nun bemühen wir das Bild vom Säugling: Macht einen Säugling das Schreien satt? Nein, das Schreien an sich macht ihn nicht satt, aber die Mutter hört das Schreien und kommt mit der Milch, und dann wird der Säugling satt. So ist das auch mit dem Beten: Wir schreien zu Gott um Hilfe und Glaubens­stärkung, und da ist er auch schon, der Herr, mit seinem Wort und Sakrament, mit seiner Glaubens­nahrung. Allerdings müssen wir sie annehmen. Wenn wir nur schreien und hinterher die Milch nicht trinken, dann nützt uns das Schreien gar nichts. Wir müssen zwei Sachen also ordentlich auseinander halten: Unser Beten ist das Begierig­sein, Gottes Wort ist die Milch. Unser Tun und Gottes Tun müssen stets fein säuberlich auseinander­gehalten werden, sonst bilden wir uns am Ende noch ein, wir mit unserer eigenen Gebets- und Glaubens­leistung könnten auf dem Weg des Heils weiter­kommen. Nein, Gott allein ist es, und er tut's durch Jesus und die Evangeliums-Milch.

„Seid begierig nach der ver­nünftigen lauteren Milch wie die neu­geborenen Kindlein, damit ihr zunehmt zu eurem Heil“, so verkündigte der Apostel Petrus. Mag sein, dass er dabei besonders an Neugetaufte dachte, die tatsächlich erst gerade ins Reich Gottes hinein­geboren wurden. Dann stellt sich die Frage, ob wir das wirklich so direkt auf uns beziehen können, auch wenn wir schon viele Jahre oder gar Jahrzehnte Christen sind. Sind wir dann nicht eher alte Hasen anstatt neu geborene Kinder? Müssen wir dann wirklich noch „zunehmen“? Bei kleinen Kindern sehen wir das ja ein, dass sie zunehmen müssen, aber bei den Erwachsenen wollen die meisten doch eher abnehmen! Sind wir also gar keine Babys mehr, auch nicht im über­tragenen Sinn?

Die Antwort lautet ja und nein. Ja, wir sind und bleiben Babys, was das Nehmen angeht: Unser ganzes Leben lang sollen wir uns begierig nach der Milch des Gottes­wortes sehnen, das Evangelium gern und oft empfangen. Und dieses Empfangen soll ganz kindlich sein, klein­kindlich, im Glauben, im Urvertrauen zu Gott, so wie ein Säuglin ein Urvertrauen zu seiner Mutter hat. Kluge Gedanken, Vernunft und Skepsis sind da eher hinderlich, wenn es darum geht, das Wort vom Kreuz anzunehmen. Und wer in dieser Hinsicht zu erwachsen geworden ist, der muss wieder umkehren und Kleinkind werden. Hier gilt das Wort des Herrn: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“ (Matth. 18,3). Was das Emfpangen das Evan­geliums, das Glauben und das Vertrauen anbetrifft, müssen wir Säuglinge bleiben oder wieder neu werden. Ja, in dieser Hinsicht sind wir Babys.

Aber in anderer Hinsicht sollen wir das geistliche Babystadium hinter uns lassen. Wir sollen reifer werden, in der Nachfolge Jesu immer besser werden. Wir sollen an Erkenntnis und Weisheit gewinnen. Wir sollen lernen, unser Leben in Verant­wortung vor Gott und den Menschen zu führen. Wir sollen anderen unseren Glauben bezeugen, wir sollen ihn an die nächsten Gene­rationen weiter­reichen,wir sollen lehren und Vorbild sein. Wir sollen auch die Geister unter­scheiden lernen. Wir sollen fähig sein, falsches Reden von Gott zu erkennen und abzuwehren. Wir sollen kämpfen lernen, den guten Kampf des Glaubens führen. Wir sollen klug wie die Schlangen sein. Das alles ist unkindlich, das braucht Reife. Wir sollen erwachsen werden im Glauben. Kurz: Wo es nicht um das Hören des Evangeliums geht, sondern um das Leben im Glauben, da sollen wir im Laufe der Jahre als Christen nicht naiv und kindlich bleiben.

Dazu gehört auch, dass wir beim Studium der Bibel nicht faul und ober­flächlich sind. Das steht nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass wir's kindlich glaubend annehmen sollen, was wir da hören und lernen. Im Hebräer­brief heißt es mit leichtem Vorwurf für Menschen, die schon jahrelang Christen sind: „Ihr, die ihr längst Lehrer sein solltet, habt es wieder nötig, dass man euch die Anfangs­gründe der göttlichen Worte lehre und dass man euch Milch gebe und nicht feste Speise. Denn wem man noch Milch geben muss, der ist unerfahren in dem Wort der Gerechtig­keit, denn er ist ein kleines Kind“ (Hebr. 5,12‑13). Wenn wir dieses Wort unserm Predigttext gegenüber­stellen, dann erkennen wir ganz klar, dass wir nur in einer bestimmten Hinsicht Säuglinge bleiben und nach Milch verlangen sollen, in anderer Hinsicht aber erwachsen werden und feste Speise essen sollen.

Kindlich im Verlangen nach dem Evangelium und im Vertrauen, erwachsen im Verstehen des Wortes und im Leben der Nachfolge – wie das zusammen­gehen kann, das kann man sehr schön am Beispiel des Reformators Martin Luther erkennen. Er war ein hoch­gelehrter Mann, ein starker geistlicher Kämpfer, ein wunderbarer Lehrer, ein reifer Christ, ein Theologe, der es mit den größten Köpfen seiner Zeit in Theologie und Philosophie aufnehmen konnte. Und doch waren sein Glaube und sein Verlangen nach dem Evangelium ganz einfältig und kindlich. Wenn er in Gottes Wort etwas geschrieben fand, dann nahm er das ganz schlicht so hin, auch wenn die menschliche Vernunft noch so viele Einwände dagegen vor­zubringen hatte. Und ich würde sagen, Martin Luther hat von sich selbst geredet, wenn er in einer Psalm­auslegung von Lehrern des Evangeliums sagte: „Sie sind schlichte, einfältige, alberne Leute, die den unmündigen Kindern gleich sind, das ist, die alle Vernunft hintan setzen, das Wort mit einfältigem Glauben fassen und annehmen und sich von Gott führen und leiten lassen wie Kinder. Solche sind die besten Schüler und Lehrer in Christi Reiche.“

Dem füge ich nur noch hinzu: Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2006.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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