Der Ysop

Predigt über Psalm 51,9 in einer Passionsandacht

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Als Jesus am Kreuz hing, litt er qualvollen Durst. Er schrie: „Mich dürstet!“ Da nahm ein mitleidiger Soldat einen Schwamm und tauchte ihn in den Eimer mit Essig­wasser, von dem die Soldaten tranken, wenn sie Durst hatten. Er wollte Jesus den Schwamm zum Mund führen, aber er reichte nicht heran. Da suchte er sich einen passenden Stock, um den Schwamm auf­zuspießen und hoch­zureichen. Er fand einen Zweig vom Ysop-Strauch. Eigentlich kein besonders gut geeigneter Stock, denn der Ysop-Strauch wird höchstens 80 Zentimeter hoch, aber der Soldat hatte gerade nichts Besseres zur Hand. Und so gab er mit Hilfe eines Ysop-Zweigs Jesus zu trinken. Zufall? Nein, kein Zufall. Bei Gott gibt es keine Zufälle. Und die Tatsache, dass es ein Ysop-Zweig war, die war für den Evan­gelisten Johannes wichtig genug, um sie in seinem Evangelium auf­zuschrei­ben. Der Ysop hatte nämlich eine lange Vor­geschichte, die sich hier, am Kreuz Jesu, vollendete. Mit dem Ysop wollte Gott die Bedeutung des Kreuzes­todes Jesu erhellen und unter­streichen. Betrachten wir jetzt also die Predigt des Ysop.

Der Ysop – was ist das eigentlich für ein Strauch? Es handelt sich nicht um den euro­päischen Ysop, der ist eine ganz andere Pflanze. Es handelt sich um den sogenannten Syrischen Ysop, das Origanum Syriacum, eine Majoranart. Das ist eine Gewürz- und Heil­pflanze, die auch in Palästina wächst. Sie hat ein kräftiges Aroma, eben wie Origanum oder Majoran. Die Stängel sind mit vielen grauen Härchen bedeckt, und man sagt, dass diese die Blut­gerinnung verzögern.

Der Ysop taucht mehrmals in der Geschichte Israels auf, im Alten Testament, und zwar immer an ganz besonders wichtigen Stellen.

Es war kurz vor dem Exodus, dem Wegzug der Israeliten aus Ägypten. Gott hatte die zehnte Plage an­gekündigt, den Tod aller Erst­geborenen. In der Nacht, in der das geschehen sollte, feierten die Hebräer in ihren Häusern das Passafest. Sie schlach­teten Lämmer und bestrichen die Rahmen ihrer Haustüren mit deren Blut; so hatte Gott es angeordnet. Als Pinsel benutzten sie Büschel der Ysop-Pflanze (2. Mose 12,22). Wo das Blut an den Türrahmen war, da ging der Tod vorüber; die Erst­geborenen des Volkes Israel blieben am Leben, blieben von Gottes Plage verschont. So wurde der Ysop zum Zeichen für Gottes Gnade: In Verbindung mit dem Blut des Passalammes und mit den Balken der Eingangstür half er mit, Gottes Strafe abzuwenden und Leben zu retten. Daran erinnert der Ysop-Zweig am Kreuz Jesu: In Verbindung mit dem Blut des Gottes­lammes und mit den Balken des Kreuzes zeigt er Gottes Gnade an. Hier am Kreuz wird Gottes Strafe ein für alle Mal abgewendet, und die Rettung zum ewigen Leben geschieht.

Es geschah nur wenige Monate nach dem Auszug aus Ägypten, als Gott am Berg Sinai mit seinem aus­erwählten Volk Israel seinen Bund schloss. Dieser Bund wurde mit Blut besiegelt, mit Blut von Opfer­tieren. Nach Gottes Anweisung verspritzte Mose das Blut unter den Israeliten. Und was benutzte er zum Ver­spritzen? Es war wieder ein Büschel vom Ysop-Busch (2. Mose 24,8 und Hebr. 9,19). So wurde der Ysop zum Zeichen für Gottes Bund: In Verbindung mit dem Opferblut half er mit, dass aus Israel Gottes Eigentums­volk wurde. Auch daran erinnert der Ysop-Zweig am Kreuz Jesu: In Verbindung mit dem Blut des Gottes­lammes zeigt er Gottes neuen Bund an – den Bund, den Gott nun allen Menschen und Völkern der Erde stiftet, den Bund, der nicht mehr auf Gesetzes­gehorsam beruht, sondern allein auf Gottes Barmherzig­keit. Hier am Kreuz Jesu beginnt der neuen Bund, in den auch wir hinein­genommen sind für alle Ewigkeit.

Und nun kommen wir zu dem Ereignis, zu dem unser Predigttext gehört. Es geschah zur Zeit des Königs David. Es war die schwärzeste Stunde seiner Regierungs­zeit. Er hatte sich von seinen Sinnen verführen lassen, hatte mit der Frau eines tüchtigen und treuen Offiziers geschlafen, und hatte dann, um die Sache zu vertuschen, den Offizier hinter­listig umbringen lassen. Gott schickte den Propheten Nathan zu ihm. Der stellte ihm sein Unrecht in Form einer Beispiel­geschichte vor Augen, bei der er um Davids Urteil bat. David erkannte zunächst nicht, dass es um seine eigene Schuld ging, und urteilte: „Wer so handelt, hat die Todesstrafe verdient!“ Daraufhin überführte Nathan ihn: „Du bist der Mann!“ David wurde von Reue über­wältigt. Er sah seine große Schuld ein und bat Gott um Vergebung. Er sprach ein wunder­schönes Bußgebet, dass bis zum heutigen Tag gebetet wird. Immer wenn wir Abendmahl feiern, singen und beten wir einige Verse daraus: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gibt mir einen neuen, gewissen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir“ (Psalm 51,12‑13) In demselben Gebet, im 51. Psalm, heißt es nur wenige Verse vorher: „Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde; wasche mich, dass ich schneeweiß werde“ – das ist heute unser Predigt­text. David wusste, dass der Ysop ein Zeichen von Gottes Gnade ist. David wusste, dass der Ysop ein Zeichen von Gottes Bund ist. Und David glaubte im Vertrauen auf den verheißenen Erlöser, dass Gott den Sünder nicht verwerfen will, sondern ihm aus Gnade und Barmherzig­keit seinen Bund erneuert. So wurde durch diesen berühmten Davidspsalm der Ysop auch zum Zeichen für Gottes Vergebung, die in der Mitte der Zeiten am Kreuz von Golgatha ein für allemal geschenkt wurde. „Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde; wasche mich, dass ich schneeweiß werde“ – so dürfen wir beten und dabei an Jesus denken. Der Ysop-Zweig an seinem Kreuz zeigt uns, dass Gott uns vergibt, dass das Blut des Gottes­sohnes uns rein wäscht von allen Sünden.

Origanum Syriacum, der Syrische Ysop, eine Majoranart. Ich bin sicher, ihr kennt das Aroma. Und wenn ihr es wieder riecht, wenn ihr zum Beispiel eine Soße mit Majoran würzt oder eine Pizza mit Origanum esst, dann denkt doch mal an diese besondere Pflanze in Gottes Schöpfung. Dieser Pflanze hat Gott eine Botschaft gegeben; diese Pflanze predigt Gottes Gnade, Gottes Bund und Gottes Vergebung. Diese Pflanze war den trockenen Lippen des sterbenden Heilands nahe, und sie half mit, ihn in seiner Qual zu tränken. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2006.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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