Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Oft handelt Gott ganz anders, als wir es von ihm erwarten. Oft geht Gott ganz andere Wege mit uns, als wir erhoffen. Ja, manchmal erleben wir Gott sogar schweigend und abweisend, wo wir fest mit ihm gerechnet hatten. Wenn das so ist, dann liegt das nicht an ihm, sondern an uns. Dann liegt es zum Beispiel daran, dass wir noch so sehr menschlich und so wenig göttlich denken. Gott muss uns dann in seine Lehre nehmen, wie er sein Volk schon immer in die Lehre genommen hat.
Zum Beispiel mit Israels Erwartungen im Blick auf den Davidssohn. David trug seine Königskrone mit Ruhm und Ehre. Der goldene Kranz auf seinem Haupt war Zeichen der Königswürde, Zeichen von Wohlstand, Macht und Gottes Segen. Gott hatte ihm versprochen, dass es so bleiben werde, auch über seinen Tod hinaus. Seine Nachkommenschaft, das Haus David, würde königliches Geschlecht bleiben, und einmal würde der auserwählte Davidssohn aus diesem Geschlecht hervorgehen, der seine Krone nie wieder ablegen würde, der ewig herrschen würde. Auf diesen Davidssohn hoffte ganz Israel.
Aber es kam anders. Gott handelte ganz anders, als man vom ihm erwartete. Nachdem Davids Sohn Salomo gestorben war, ging es bergab mit Davids Königshaus. Das Reich zerbrach in zwei Teile, ein Nordreich und ein Südreich. Zwar herrschten im Südreich noch Davidsnachkommen, aber sie machten der Krone keine Ehre; sie waren allermeist schwach und gottlos. Das Volk Israel hatte unter ihnen und unter Gottes Strafgerichten zu leiden. In dieser Zeit entstand das Klagelied, das wir heute als 89. Psalm kennen. Wehmütig denkt Israel in diesem Gebet an die Verheißung des Davidssohns zurück und stellt fest, dass sich das nun offenbar alles zerschlagen hat. In diesem Zusammenhang stehen die Worte, die wir eben als Predigttext gehört haben: „Aber nun hast du verstoßen und verworfen und zürnst mit deinem Gesalbten! Du hast zerbrochen den Bund mit deinem Knecht und seine Krone entweiht in den Staub.“
Viele hundert Jahre später, in denen das Volk Israel sehr leiden musste, machte ein Mann aus dem Geschlecht Davids von sich reden, von dem die Menschen sich immer öfter zuflüsterten: „Das ist er, der Davidssohn. Das ist der, den sich Gott als ewigen König erwählt hat, der Gesalbte, der Christus. Passt auf, es dauert nicht lange, da wird er in Davids Residenzstadt Jerusalem kommen, und man wird ihn zum König der Juden krönen. Dann brechen die goldenen Zeiten an, die Gott vor langer Zeit ankündigte.“ Ja, so redete man von Jesus aus Nazareth. Und als er dann wirklich nach Jerusalem einzog, reitend auf einem Esel, da jubelten die Massen ihm zu: „Hosianna dem Sohn Davids!“ Und sie dachten: Jetzt ist es so weit, nur noch wenige Tage, und er wird gekrönt werden, und Israel wird wieder ein stolzes, unabhängiges Königreich werden.
Aber wieder kam es ganz anders. Gott handelte ganz anders, als die Menge es erwartete. Zwar wurde Jesus einige Tage später gekrönt, aber es war eine aus Dornen geflochtene Krone, die man ihm aufs Haupt setzte – nicht unter dem Jubel, sondern unter dem Spott der Menge. Römische Soldaten machten sich einen Spaß daraus, diesen armseligen vermeintlichen Judenkönig zu veralbern. Sie zogen ihm einen alten Purpurmantel an, gaben ihm als Zepter einen Schlagstock in die Hand und drückten ihm die Dornenkrone auf den Kopf.
Diese Dornenkrone ist zum Sinnbild der Passion Jesu geworden, denn sie zeigt das Leiden Jesu in seinem vollen Ausmaß. Sie bedeutet erstens Schmerzen, zweitens Spott und drittens Zorn.
Davids goldene Krone war ein Zeichen des Wohlstands gewesen. David war reich. Er lebte in seinem Palast angenehm und prächtig, wie es sich für einen König gehörte. Die Dornenkrone des Davidssohns Jesus war unangenehm, ein Foltergerät. Viele können sich das in Deutschland gar nicht richtig vorstellen, weil hier die meisten Pflanzen mit Dornen noch relativ harmlos sind. Aber in Botswana zum Beispiel kann man sehen, was für große und gefährliche Dornen es gibt und wie schmerzhaft sie sein können. Durch die Dornen der Dornenkrone begann das Blut Jesu zu fließen, und er musste große Schmerzen leiden. Aber der körperliche Schmerz war noch nicht alles, war noch nicht das Schlimmste.
Davids goldene Krone war ein Zeichen der Macht gewesen. David hatte verlässliche Diener und Soldaten, fähige Männer, die ihm aufs Wort gehorchten und bereit waren, für ihn zu sterben. Die Dornenkrone des Davidssohns Jesus machte ihn zum Gespött einfacher Soldaten. Sie waren es, die in dieser Situation Macht über ihn hatten, den Judenkönig, und die sich über den ohnmächtigen „Herrscher“ köstlich amüsierten. Die Dornenkrone als Zeichen der Ohnmacht – das ist genau das Gegenteil von dem, was eine richtige Krone anzeigt. Dieser Spott, diese Demütigung, diese Hilflosigkeit – das muss noch schlimmer gewesen sein als die körperlichen Schmerzen. Aber auch das war noch nicht das Schlimmste.
Davids goldene Krone war ein Zeichen von Gottes Segen gewesen. Gott hatte ihn als König auserwählt und ihn zum König salben lassen. Gott hatte ihn in seinem Leben seine Zuwendung und Liebe spüren lassen, seinen Schutz und seine Barmherzigkeit. Die Dornenkrone des Davidssohns Jesus zeigte, dass hier einer von Gott verlassen worden war, dass Gott sich von diesem Mann ganz offensichtlich im Zorn abgewandt hatte, sonst hätte er ihn nicht derart seinen Feinden preisgegeben. Mit der Dornenkrone Jesu erfüllte sich, was mit dem Psalmwort, das wir gehört haben, in gewisser Hinsicht vorausgesagt worden war: „Nun hast du verstoßen und verworfen und zürnst mit deinem Gesalbten (das heißt: mit deinem Christus)! Du hast zerbrochen den Bund mit deinem Knecht und seine Krone entweiht in den Staub.“ Die Dornenkrone Jesu, das ist die in den Staub entweihte Krone des Hauses Davids. Sie zeugt von Gottes Zorn. Ja, Jesus war dem Zorn Gottes ausgesetzt in dieser Situation, dem Zorn, der ihn bis ans Kreuz und ums Leben brachte. Wir wissen, dass Jesus diesen Zorn nicht verdient hatte. Wir wissen aber, dass wir ihn verdient haben. Zorn und Gottverlassenheit, die Strafe für unsere Schuld, hat er stellvertretend auf sich genommen. Zorn und Gottverlassenheit, das ist das Schlimmste an Leiden, was einem Menschen widerfahren kann, schlimmer noch als leibliche Schmerzen und der Spott der Feinde. Auch das hat Jesus ertragen, für uns, aus Liebe.
Oft handelt Gott ganz anders, als wir es erwarten. So war es auch beim Mann mit der Dornenkrone. Aber was Gott uns durch ihn gezeigt und gelehrt hat, ist köstlicher als alles andere. Ja, Gott hat den Davidssohn ganz anders gekrönt, als es je einer zuvor für möglich gehalten hätte. Aber gerade auf diese Weise hat er seine ewige Herrschaft angetreten, die vorausgesagt worden war. Indem Jesus Schmerzen, Spott und Gottes Zorn auf sich nahm, hat er er Sünder zu Königskindern gemacht und für das ewige Reich seines himmlischen Vaters gewonnen. Zu Ostern ist es dann offenbar geworden: Da ist ihm, der zuvor die Krone der Ohnmacht trug, alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben worden. Und wir sind sein Volk, wir haben Anteil an seinem Segen, in alle Ewigkeit. „Tausend-, tausendmal sei dir, / liebster Jesu, Dank dafür.“ Amen.
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