Die Waschschüssel

Predigt über Psalm 26,6 in einer Passionsandacht

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

In dem bemerkens­werten Film „Sophie Scholl – die letzten Tage“ wird ausführlich dar­gestellt, wie die Studentin Sophie Scholl vom Kriminal­kommissar Mohr verhört wird. Sophie Scholl hatte zusammen mit ihrem Bruder Hans Flugblätter in der Münchener Universität verteilt; darin protes­tierten sie gegen die Verbrechen Hitlers und der National­sozialisten. Die Geschwister waren erwischt und fest­genommen worden. Nach an­fänglichem Leugnen gab Sophie Scholl die Tat zu und recht­fertigte sich damit, dass sie aus Gewissens­gründen die Nazi­verbrechen nicht länger schweigend dulden konnte. Der Kommissar Mohr war durchaus beeindruckt von der jungen Frau und bot ihr an, ein juristi­sches Schlupfloch zu finden, wenn sie zugeben würde, dass die Sache mit den Flug­blättern eine unüberlegte Dummheit war. Sophie Scholl jedoch wollte sich darauf nicht einlassen. An dieser Stelle im Film steht der Kommissar auf, tritt an ein Waschbecken in der Ecke des Raums und wäscht sich gründlich die Hände. Die Botschaft ist klar: „Ich wasche meine Hände in Unschuld“ – Ich trage keine Ver­antwortung, wenn diese Frau jetzt zum Tode verurteilt wird; ich habe ja versucht, ihr heraus­zuhelfen.

Die Hände in Unschuld waschen – ein Sprichwort und eine Zeichen­handlung, die viel älter sind als der erwähnte Film und das Dritte Reich, viel älter auch noch als Pontius Pilatus, der sich nach seinem feigen Fehlurteil über Jesus die Hände gewaschen hatte. Das Waschen der Hände in Unschuld geht auf ein Gesetz zurück, das Gott dem Volk Israel durch Mose gegeben hatte. Dieses Gesetz schreibt Folgendes vor: Wenn ein Ermorderter auf freiem Feld gefunden wird, ohne dass der Täter bekannt ist, dann sollen die Ältesten der nächsten Ortschaft eine junge Kuh opfern, über dem Opfertier ihre Hände waschen und sagen: „Unsere Hände haben dies Blut nicht vergossen, und unsere Augen haben's nicht gesehen“ (5. Mose 21,7). Auf diese Weise sollen sie die Unschuld der Orts­bewohner bezeugen.

Seitdem ist es in Israel üblich geworden zu sagen: „Ich wasche meine Hände in Unschuld“, wenn einer vor anderen bezeugen will, dass er für eine schlimme Tat keine Verant­wortung trägt. Und darum betete David im 26. Psalm: „Ich wasche meine Hände in Unschuld und halte mich, HERR, zu deinem Altar.“ Der ganze Psalm ist eine einzige Unschulds­beteuerung des Königs. David bittet Gott darum, ihn zu beschützen und damit seine Reinheit zu belohnen. Gleich am Anfang heißt es: „HERR, schaffe mir Recht, denn ich bin un­schuldig!“

Der römisch Statthalter Pontius Pilatus kannte die jüdische Sitte, durch Hände­waschen seine Unschuld zu bezeugen. Als er im Prozess gegen Jesus keine Möglichkeit mehr sah, diesen offen­sichtlich harmlosen Mann ohne politischen Gefahr frei zu lassen, da griff er zu diesem Kniff – sei es, um das eigene Gewissen zu be­sänftigen, oder sei es, um sich gegen noch vorhandene Sym­pathisanten Jesu ab­zusichern. Er lässt sich eine Wasser­schüssel bringen und wäscht demonstra­tiv vor der großen Volksmenge seine Hände. Dazu sagte er: „Ich bin unschuldig an seinem Blut; seht ihr zu!“ (Matth. 27,24). Er will sagen: Auch wenn ich jetzt formal dieses Todesurteil verhänge, trage ich doch keine Verant­wortung dafür, sondern führe nur auf dem Dienstweg das aus, was der Hohe Rat der Juden zu verant­worten hat. Das Volk verstand das sehr gut und erwiderte: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ – „Wir übernehmen die volle Verant­wortung an diesem Todes­urteil, und zwar un­befristet, auch noch für kommende Gene­rationen.“

Nun ist ja ganz deutlich, dass das Verhalten des Pilatus unredlich war. Er wollte sich mit dem Hände­waschen nur elegant aus der Affäre ziehen. Die Verant­wortung konnte er damit natürlich nicht ab­schütteln. Welcher Richter darf einen Un­schuldigen zum Tode ver­urteilen, auch wenn un­glückliche Umstände ihn dazu drängen? Kein Richter darf das. Wenn Pilatus nur ein bisschen Rückgrat und Ver­antwortungs­bewusstsein gehabt hätte, dann hätte er Jesus frei­sprechen müssen. Ebenso: Wenn der Kommissar Mohr verant­wortlich nach seinem Gewissen gehandelt hätte und nicht nach menschen­verachten­den Gesetzen, dann hätte er Sophie Scholl nicht in die Hände Freislers und des Volks­gerichts­hofs über­antworten dürfen.

Aber was wollen wir über andere reden? Wie sieht es denn bei uns aus? Gibt es das nicht auch heute noch, in unserer Zeit? Vielleicht nicht so Aufsehen erregend, aber von der Sache her dasselbe. Da gibt es zum Beispiel viele ungesetzliche Geld­zahlungen: da werden Arbeiten und Dienste mit einem Geldschein unter der Hand vergütet, ohne dass die Steuer­behörde oder das Amt für Grund­sicherung etwas davon erfährt. Viele, die bei solchem Betrug an der Allgemein­heit mitmachen oder davon erfahren, sagen: Ich wasche meine Hände in Unschuld – ich trage keine Verant­wortung. Oder auch dies: Da haben wir uns fast schon dran gewöhnt, dass ungeborenes Leben getötet wird. Ein kleiner wehrloser Mensch wird im Krankenhaus klinisch steril ums Leben gebracht und sein ge­schundener Leib dann einfach verbrannt. Gesetze unseres Staates ermöglichen dies und unsere Steuer­gelder werden dafür heran­gezogen, um dieses Unrecht zu finan­zieren. Müssten wir uns nicht viel deutlicher dagegen wehren? Aber weil wir uns schon fast daran gewöhnt haben, sagen wir: Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich trage keine Verant­wortung. Ich habe die ent­sprechenden Gesetze ja nicht gemacht, ich bin ja dagegen.

Wer seine Hände in Unschuld wäscht und damit bezeugt, dass er keine Verant­wortung für irgend etwas Schlimmes hat, der sollte schon sicher sein, dass er das auch vor Gott und seinem Gewissen vertreten kann. Sonst wäre es eine schlimme Lüge, ein Meineid gewisser­maßen.

Aber wie war das denn mit David, der sich vor Gott so pauschal als Un­schuldiger darstellte? War der denn wahrhaftig, als er sagte: „Ich wasche meine Hände in Unschuld und halte mich, Herr, zu deinem Altar“? Wie war denn das noch mit der Batseba und dem Uria? Wie war denn das mit seinem Ehebruch und Mord? Nein, David war keineswegs ein völlig sünden­freier Mensch. Und er wusste das auch selbst. Er war sich auch dessen bewusst, als er diesen Psalm betete. Da bittet er nämlich zum Schluss: „Erlöse mich und sei mir gnädig!“ Er bittet also Gott um Vergebung. Und er ist sich dessen sicher, dass Gott diese Bitte erhört und seine Schuld vergibt. So sicher ist er sich der Sünden­vergebung, dass er sich selbst so ansehen kann, wie Gott ihn in seiner Gnade ansieht: rein­gewaschen, heilig, gerecht, schuldfrei – nicht um seines Tuns willen, sondern um Gottes gnädigen Richter­spruchs willen.

So, liebe Gemeinde, dürfen auch wir vor Gott treten und sagen: „Ich wasche meine Hände in Unschuld.“ Oder besser: „Gott, du hast mir meine Hände in Unschuld gewaschen, und nicht meine Hände allein, sondern auch das Haupt und damit den ganzen Menschen. Du hast mich in der heiligen Taufen rein­gewaschen von aller Schuld. Und so weiß ich, dass ich heilig, gerecht und schuldfrei bin.“ Und woher nehme ich die Gewissheit, so zu sprechen? Ich finde sie bei niemand anderem als bei dem un­schuldigen Jesus Christus, der von Pontius Pilatus zum Tode verurteilt wurde. Ich weiß, dass da mit dem un­schuldigen Jesus meine Schuld am Kreuz hing, damit ich, der Sünder, schuldfrei werde. Und wenn ich wieder schuldig werde und gegen Gott und mein Gewissen handeln sollte, dann kann ich in Gedanken getrost in Gottes Wasch­schüssel zurück­kehren, in das Bad der Wieder­geburt, in meine Taufe, die ihre Kraft aus dem Opfer Jesu Christi hat. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2006.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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