Von Angeberei, Ehre und Schande

Predigt über Lukas 14,7‑11 zum 6. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Als ich ungefähr dreizehn oder vierzehn Jahre alt war, erhielt ich in den Sommer­ferien eine Postkarte von meinem besten Freund. Die Anschrift lautete: „Herrn Angeber Matthias Krieser“. Ich war damals tatsächlich ein Angeber. Ich wollte beliebt sein, ich wollte bewundert werden, und ich setzte mich ent­sprechend in Szene. Die Postkarte war da ein ziemlicher Dämpfer. Mein Freund bewunderte mich offenbar nicht, sondern er verspottete mich wegen meiner Angeberei. Wie peinlich, wie beschämend! „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.“

So habe ich am eigenen Leibe erfahren, wovon Jesus mit seiner berühmten Geschichte vom Gastmahl sprach: Ein Angeber setzt sich auf den besten Platz, der den Ehrengästen vorbehalten ist. Als nun ein noch vornehmerer Mann eintrifft, muss er den Ehrenplatz räumen und wird in die unteren Ränge verwiesen. Wie peinlich, wie beschämend! „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.“

Es handelt sich um eine Erfahrung, die fast alle Menschen zu allen Zeiten machen. In Jesu Geschichte und in dem Spruch von der Selbst­erhöhung kommt eine weit verbreitete Lebens­erfahrung zum Ausdruck. Bereits Kinder können sie erfahren. Eine Religions­lehrerin fragte einmal ihre Grundschul­klasse, was das denn wohl bedeuten soll: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.“ Da meldete sich ein Mädchen und berichtete von einem frechen Jungen. Der hat sich, berichtete sie, in der Pause auf einen großen Stuhlstapel gesetzt, der in der Ecke stand. Er wollte der Größte sein, er hat sich selbst erhöht, der Stuhlstapel war sein Thron. Und da ist der Stuhlstapel mit großem Gepolter umgefallen, und der Junge lag am Boden. Wie peinlich, wie beschämend!

Auch intelli­gente Leute treten in dieses Fett­näpfchen und suchen die eigene Ehre, weil sie beliebt sein möchten und bewundert werden wollen. Wie viele Studenten träumen von einer steilen Karriere, wollen möglichst schnell Professor werden. Ich habe neulich im Radio gehört, dass über die Hälfte aller Medizin­studenten in Deutschland nicht vorhaben, Arzt zu werden, schon gar nicht gewöhn­licher Hausarzt. Nein, sie wollen höher hinaus, wollen forschen, wissen­schaftlich arbeiten und dann vielleicht einmal den Ruhm für eine bahn­brechende medi­zinische Entdeckung ein­kassieren. Für die aller­meisten von ihnen wird sich dieser Traum allerdings nie erfüllen. Sie werden doch irgendwo als ganz gewöhnliche Ärzte landen, und vielleicht werden ihnen dann die Mit­studenten von damals hämisch grinsend ihre hoch­fliegenden Pläne vorhalten. Wie peinlich, wie beschämend! „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.“

Auch mit fort­schreiten­dem Alter stellt sich die Bescheiden­heit nicht automatisch ein. Die Postkarte an den „Herrn Angeber“ hat mich nicht ein für alle Mal kuriert; ich spüre nach wie vor die Versuchung zur Angeberei. Etwa wenn ich aus meiner Zeit in Afrika erzähle. Da reizt es mich zum Beispiel zu berichten, wie ich einmal mit einem gezielten Steinwurf eine Schlange erlegt habe. Wie mutig! Meine Frau könnte allerdings ergänzend hinzufügen, dass es sich um eine ungiftige und gänzlich harmlose Haus­schlange handelte, keine fünfzig Zentimeter lang, und schon würde sich die Helden­geschichte in Luft auflösen. Wie peinlich, wie beschämend! „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.“

Ich nehme an, dass einige von euch auch die Versuchung kennen, sich mit selbst erzählten Helden­geschichten zu erhöhen. Männer berichten gern von Abenteuern, die sie mutig oder listig gemeistert haben, und wollen dafür bewundert werden. Frauen berichten gern davon, wie sie sich selbstlos für andere Menschen eingesetzt und aufgeopfert haben, und wollen dafür geliebt werden. Meistens leben solche Geschichten von leichten bis mittel­großen Über­treibungen. Und wenn das heraus­kommt, ist es beschämend.

Besonders raffiniert sind diejenigen, die sich mit ihrer Bescheiden­heit rühmen. Denn es hat sich ja mittler­weile herum­gesprochen, dass Angeber doch nicht so beliebt sind, wie sie es gern sein möchten. Jesu Spruch: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden“, ist zum bekannten Sprichwort geworden. Also erniedrigt man sich besser – mit der Absicht und Erwartung, dass man dann erhöht wird. Bescheiden­heit ist Trumpf und führt zum Erfolg! Also: Sich immer auf den untersten Platz setzen, immer das kleinste Stück Torte nehmen und jedes Lob gekonnt mit der Rückhand ab­schmettern: „Aber, aber, das war doch selbst­verständ­lich, das ist doch wirklich nicht der Rede wert.“ Wer dieses Spielchen gut spielt, der kann es weit bringen mit seiner Anerkennung und Beliebt­heit. Wenn ihm dann bescheinigt wird: „Du bist aber ein be­scheidener Mensch!“, dann wird ihm damit hoher Ruhm und große Ehre zuteil.

Aber wir spüren: Das hat Jesus nicht gemeint. Geheuchelte Bescheiden­heit ist ebenso schlecht wie ungetarnte Angeberei. Wie also sollen wir dann sein? Was lehrt uns der Spruch von der Selbst­erhöhung? Ehrlich sollen wir sein, wir selbst sollen wir sein! Wir sollen uns nicht größer machen, als wir sind, aber auch nicht kleiner. Und wir sollen uns dabei nicht so wichtig nehmen, sondern lieber unseren Mitmenschen helfen. Es ist gar nicht so wichtig, ob ich geehrt und bewundert werde, ob ich angesehen und beliebt bin. Wichtig ist, dass ich die anderen liebe und dazu beitrage, dass ihre Würde keinen Schaden nimmt. Wenn es mir darum geht, brauche ich weder übertrieben angeberisch noch übertrieben bescheiden zu sein.

So, nun haben wir eine moralische Nutz­anwendung aus der Geschichte und aus Jesu Sprichwort gezogen. Trotzdem ist die Predigt noch nicht zu Ende. Denn wir dürfen nicht übersehen, dass die Geschichte Jesu ein „Gleichnis“ genannt wird. Es handelt sich also um eine Geschichte, mit der eigentlich etwas ganz anderes ausgesagt werden soll, was sich erst aus dem Vergleich mit dieser Geschichte ergibt.

Was dieses Andere ist, das erkennen wir, wenn wir sehen, in welchem Zusammen­hang Jesus sonst noch dieses Sprichwort gesagt hat: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“ Dreimal ist dieses Wort Jesu nämlich im Neuen Testament über­liefert. Auch nach der Geschichte vom Pharisäer und vom Zöllner, die im Tempel beteten, hat er dieses Wort gesagt (Lukas 18,14). Da merken wir: Es geht eigentlich um unser Verhältnis zu Gott! In dieser Hinsicht wäre es also besonders fatal, wenn wir uns selbst erhöhten, wenn wir vor Gott angeben wollten und uns damit brüsteten, was wir doch für fromme Leute sind – wie es der Pharisäer im Tempel getan hat. Gottes ver­nichtendes Urteil über ihn lautete: „Nicht gerecht­fertigt“ – nicht akzeptiert bei Gott, sondern ausgestoßen aus der Gemein­schaft mit ihm. Nein, vor Gott ist nur Bescheiden­heit angemessen, Selbst-Erniedri­gung. Und vor Gott können wir gar nicht zu bescheiden sein, denn gemessen an seinem Gesetz der Liebe und am Vorbild Jesu Christi stehen wir mit leeren Händen vor ihm da. Wie der Zöllner im Tempel müssen wir bekennen: „Gott sei mir Sünder gnädig“ (Lukas 18,13). Wie Martin Luther an seinem Lebensende müssen wir bekennen: „Wir sind Bettler.“ Wenn wir ehrlich sind, gibt es da nichts in unserem Leben, dessen wir uns vor Gott rühmen könnten. Der Apostel Johannes formulierte es so: „Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, dann betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1. Joh. 1,8). Es wäre Selbst­betrug zu meinen, wir hätten auch nur den be­scheidens­ten Platz an der himmlischen Festtafel verdient. Nein, Schande haben wir verdient – und dieses Wort hat bereits in der Bibel eine doppelte Bedeutung: Es meint nicht nur die peinliche Situation, dass man mit seiner Angeberei enttarnt wird und sich schämen muss, es meint auch den ernsten Richter­spruch Gottes am Ende der Zeit: „Hinfort mit euch, ich kenne euch nicht, ihr gehört nicht zu mir.“ Wer sich selbst erhöht, wer sich einbildet, dass er bei Gott Ehre verdient, der wird einst so schrecklich erniedrigt werden.

Wer aber nicht zu stolz ist, vor Gott auf die Knie zu gehen, wer sich in der Beichte ehrlichen Herzens einen „armen, elenden sündigen Menschen“ nennt, wer erkennt, dass er vor Gott nichts vorzuweisen hat als ein von Sünde verseuchtes Leben, der darf wissen, dass Gott ihn erhöht. Denn Christus ist für ihn gestorben, er ist getauft, er ist gerecht­fertigt, er ist gereinigt, er ist geheiligt. Ja, ihm wird einst sogar die Ehre zuteil, einen herrlichen Platz an der himmlischen Festtafel ein­zunehmen. Gott gebe, dass wir alle dabei sind. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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