Der unbegreifliche Gott

Predigt über Jesaja 6,1‑13 zum Trinitatisfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Viele Menschen wünschen sich einen praktischen Gott. Einen Gott, der sie beruhigt, der Unglück fernhält, der das tägliche Brot schenkt – und darüber hinaus noch mehr für einen guten Lebens­standard. Einen Gott, der nicht zu schwere Forderungen stellt in seinen Geboten. Dieser praktische Gott aber wäre ein Götze; er wäre letztlich nichts anderes als ein Wunschbild. Der wahre, lebendige Gott aber ist ganz anders. Er ist un­begreif­lich. Was wir von ihm in der Bibel erfahren, übersteigt sehr oft unser Vor­stellungs­vermögen, führt uns manchmal auch an die Grenze des Er­träglichen. Gerade das aber zeigt uns, dass er nicht von Menschen erdacht wurde, sondern wahrhaftig lebt und allmächtig ist.

Das Trinitatis­fest führt uns Gottes Un­begreiflich­keit darin vor Augen, dass uns der eine Gott in drei Personen begegnet: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Drei Personen – ein Gott. Eins plus eins plus eins gleich eins, das ist Gottes Mathematik; sie überfordert unsern mensch­lichen Verstand. Und diese un­begreif­liche Eigenart Gottes wird uns schon im Alten Testament mehrfach angedeutet, zum Beispiel hier in der Vision des Propheten Jesaja. Dreimal rufen die herrlichen Engel an Gottes Thron, die Cherubim, „Heilig!“. Dem einen Gott gilt diese Anbetung, dem einen Wesen, das Jesaja auf einem Thron sitzend schaut. Drei Flügelpaare besitzt jeder von ihnen. Einer von ihnen rührt mit einer einzigen glühenden Kohle Jesajas Lippen an. Drei und eins, das sind die vor­herrschen­den Zahlen in dieser Vision, die das Geheimnis der heiligen Drei­einigkeit andeutet.

Der junge Mann Jesaja war zu dieser Zeit noch kein Prophet, er hatte noch niemals Gottes Stimme gehört, geschweige denn eine Vision gehabt. Im Jerusalemer Tempel kam der Heilige Geist über ihn und ließ ihn den Herrn erblicken. Wie er aussah, das beschreibt Jesaja nicht, das ist auch unmöglich, denn dafür gibt es keine mensch­lichen Worte. Der Thron, auf dem er saß, zeigt, dass es sich hier um niemand anderen als um den Herrn und König des ganzen Universums handelt. Seine Umgebung ist erfüllt von Zeichen seiner Heiligkeit: Lautes Lob der sechs­flügligen Feuerwesen, der Cherubim, die ehrfurchts­voll ihr Gesicht und die Blöße ihrer Füße berdecken, und gewaltige Rauchwolken wie von großen Rauch­opfern, die die Gebete der Menschen sichtbar machen. Angesichts dieser gewaltigen Erfahrung fühlt Jesaja die Lebenskraft schwinden, er meint, er müsse sterben – er, der unheilige Sünde, das arme Menschlein, in unmittel­barer Gegenwart des heiligen Gottes. Viele Male ist es in der Bibel so berichtet: Wenn ein Mensch Gott sieht, erschrickt er über die Maßen und meint, er müsse sterben.

Manchmal wünschte ich, Gott würde uns Christen auch mal so direkt in seiner Herrlich­keit begegnen, damit wir ihn wieder fürchten lernen. Zu leicht bilden wir uns nämlich ein, Gott sei ein harmloses Wesen, dem wir mit unserer Sünde ruhig auf der Nase herumtanzen können, er wird ja letztlich doch alles vergeben, uns helfen und uns selig machen. Das Erschrecken über Gottes Heiligkeit und über unsere Schuld, das Bewusst­sein, dass wir ihm ganz und gar aus­geliefert sind, das liegt vielen Menschen unserer Tage fern. Und es besteht die Gefahr, dass wir uns ein Gottesbild einbilden, das doch wieder eher einem praktischen Götzen als dem un­begreif­lichen wahren Gott ähnelt. Aber Gott braucht uns gar nicht in seiner Herrlich­keit zu erscheinen. Wir brauchen nur die Nase in die Bibel zu stecken, da können wir nachlesen, wie er wirklich ist. Und wenn dann einst am Jüngsten Tag Jesus Christus wiederkommt mit all seiner Herrlich­keit, dann werden wir auch eine ähnliche Erfahrung machen wie Jesaja damals.

Aber nun wollen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass Jesaja gar nicht sterben muss. Gott straft ihn nicht um seiner Sünde willen, sondern er vergibt seine Sünden. Er tut es in dieser Vision auf eine ganz merkwürdige Art: Er lässt seine Lippen mit einer glühenden Kohle vom Brand­opferaltar berühren, von dem Altar also, wo in alt­testament­licher Zeit die Sündopfer dargebracht wurden. Eine einzige glühende Kohle nur – Sinnbild der glühenden Liebe des einen wahren Gottes. Es gibt kein anderes Motiv dafür, dass Gott uns vergibt, es gibt keinen ver­nünftigen Grund, warum er sich mit uns Sündern noch abgeben sollte, als allein seine un­verständ­liche große glühende Liebe. Seine glühende Liebe, die dann Jahr­hunderte nach Jesaja in Jesus Christus und im neuen Bund Gestalt gewonnen hat. Seine glühende Liebe, mit der er uns auch heute wieder in diesem Gottes­dienst begegnet, in seinem Wort und in seinem Heiligen Abendmahl.

Die glühende Kohle, die vergebende Liebe Gottes, verletzt Jesaja nicht und tut ihm auch nicht weh. Sie hilft und heilt vielmehr, sie reinigt ihn von aller Sünde – so wie Edelmetalle im läuternden Feuer von allen Ver­unreinigung befreit werden. Zugleich befähigt sie die Lippen und den ganzen Mann, sich Gott zur Verfügung zu stellen. Als Gott fragt: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?“, da meldet sich Jesaja bereit­willig und sagt: „Hier bin ich, sende mich!“ So soll es auch bei uns sein: Gottes vergebende Liebe hat uns angerührt bei unserer Taufe, Gottes vergebende Liebe rührt uns an bei der Sünden­vergebung, Gottes vergebende Liebe rührt uns an im Heiligen Abendmahl. Und wenn wir unser Herz nicht zuschließen vor dieser Liebe, dann wird sie das Herz läutern und erneuern, dann wird es gefüllt werden mit göttlicher Liebe, dann werden wir letztlich bereit werden, uns von Gott senden zu lassen. Das muss nicht das große Werk eines haupt­beruflichen Propheten sein wie bei Jesaja. Nein, jeder von uns kann mit seinen Gaben und an seinem Platz Gottes Liebe weitergeben – trösten, helfen, schenken, beraten, ermuntern, Zeit haben für andere.

Jesajas Mission bestand darin, die Menschen seiner Zeit zur Umkehr zu rufen. Sie hatten sich weit von Gott entfernt. Allerdings sah Gott voraus, dass der Bußruf bei den meisten nichts ausrichten würde. Die meisten Menschen waren taub und blind für Gottes Wort, und ihre Herzen waren gewisser­maßen mit einer harten Fettschicht umgehen, so dass nichts ihren Sinn ändern würde. Diese trüben Aussichten teilte Gott seinem frisch berufenen Propheten auch offen mit. Er sagte: „Verstocke das Herz dieses Volks und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.“ Die Ver­kündigung des Jesaja würde bei den meisten nichts bewirken, und so würde das Straf­gericht über Gottes altes Bundesvolk dann doch kommen, das Gott bereits durch Mose warnend angekündigt hatte: die Eroberung Israels; die Ver­treibung, Gefangen­schaft und Zerstreuung der Menschen. Nur wenige, die zur Buße fänden, würden gerettet werden: Wenn sie auch äußerlich die Leiden des Gottes­volkes mittragen mussten, so hatte Gott sie doch erwählt als Erben seines ewigen Reiches, zu dem Gott dann im neuen Bund die Menschen aller Völker einladen würde. „Wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt“, sagte Gott. „Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.“

Genau so ist es gekommen, wie Gott es dem Jesaja vorher­gesagt hat, das lehrt die Geschichte. Israel tat nicht Buße. Das Volk wurde bestraft und in alle Länder vertreut. Aber aus dem Baumstumpf des abgehauenen alten Gottes­volkes spross dann ein kleiner Zweig, ein Reislein, ein Ros: Jesus Christus, der Davidssohn und Gottessohn. Und dieser Zweig wuchs zum herrlichen neuen Baum des Gottes­volkes im neuen Bund, zur heiligen christ­lichen Kirche. Das ist unsere Freude und unsere gewisse Hoffnung; wir gehören dazu. Und wir wollen uns auch nicht irre machen lassen, wenn es uns heute mit unserem christ­lichen Zeugnis so geht wie Jesaja damals: Bei vielen dringt es nicht durch, viele lassen Gottes Wort nicht an sich heran. Viele sind heute so beschäftigt mit den Aktivitäten und Sorgen dieser Welt, dass sie meinen, sie hätten keine Zeit für Gott. Sie sind blind und taub für die Botschaft des Evan­geliums. Ihr Herz ist gewisser­maßen mit einer harten Fettschicht gepanzert, sodass nichts von Gottes Wort eindringt.

Gott zwingt solche Menschen nicht zu ihrem Heil, heute ebensowenig wie damals, zu Jesajas Zeiten. Und auch wir wollen nicht irre werden, wenn die Kirchen heutzutage ziemlich leer sind und die Menschen so wenig nach Gott fragen. Denn es gibt auch heute noch den Rest. Es gibt die Menschen, die nach Gottes Liebe hungert und dürstet, die sich sehnen nach der Wende, nach Besserung in ihrem armen Leben. Jesus will ihnen das alles schenken, und wir dürfen seine Boten sein. Wir, die wir selbst die un­begreiflich glühende Liebe an uns erfahren haben. Und um dieser Menschen willen wollen wir fröhlich weiter Zeugnis geben und uns nicht irre machen lassen durch die vielen, die das befremdet. Warum das so ist, das brauchen wir nicht zu verstehen, ebenso­wenig, wie wir Gottes geheimnis­volles Wesen mit unserem Verstand begreifen können, den einen Gott, der zugleich Vater, Sohn und Heiliger Geist ist. Denken wir einfach an die eine glühende Kohle: Lassen wir uns an seiner un­begreif­lichen, großen, glühenden vergebenden Liebe genügen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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