Die wartende Gemeinde

Predigt über Apostelgeschichte 1,12‑14 zum Sonntag Exaudi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Warten, so scheint es, ist nicht mehr zeitgemäß. Der Obst- und Gemüse­händler auf dem Markt ruft laut: „Frische Erdbeeren – jetzt im Sonder­angebot! Greifen Sie zu! Warten Sie nicht länger! Nur so lange der Vorrat reicht!“ Wer einen Garten hat, der weiß es besser. Wer Erbeeren ernten will, muss warten: Erst auf das Frühjahr, dann auf den Regen, dann auf den Sonnen­schein und schließlich darauf, dass die Früchte schön reif sind. Warten ist wichtig. Warten ist etwas Gutes. Warten lehrt Geduld.

Trotzdem ist warten nicht mehr zeitgemäß, wie es scheint. Viele Menschen wünschen sich neue Möbel, haben aber nicht das Geld dafür. Was tun sie? Sie vereinbaren Raten­zahlung. Sie wollen nicht warten, bis sie das Geld zusammen­gespart haben. Sie wollen nicht warten, bis die Zeit dafür reif ist. Sie denken nicht darüber nach, wie die Rückzahlung der Schulden sie belasten wird. Sie kennen nicht mehr den Wert der Vorfreude. Sie wissen nicht, dass es besonders schön ist, etwas zu erwerben, worauf man lange gewartet hat. Warten ist wichtig. Warten ist etwas Gutes. Warten lehrt Geduld.

Auch Patienten sind heute oft nicht mehr das, was dieses Wort eigentlich bedeutet, nämlich „Gedul­dige“. Vielen Kranken geht es nur darum, mit scharfer Medizin möglichst schnell die Symptome der Krankheit loszuwerden und das normale Leben wieder auf­zunehmen. Dabei bedarf es auch heute noch Zeit, um zu genesen. Warten ist wichtig, Warten ist etwas Gutes. Warten lehrt Geduld.

Warten ist nicht mehr zeitgemäß, das gilt auch für Verliebte. Wie viele wollen mit der geschlecht­lichen Vereinigung nicht mehr bis zur Hochzeit warten. Niemand hat sie gelehrt, dass es besser ist, sich gegenseitig sowie auch Gottes Ordnung auf diese Weise zu respek­tieren. Oder sie akzeptieren es einfach nicht, dass die Zeit noch nicht reif ist. Dabei ist gerade bei der Liebe zwischen Mann und Frau warten so wichtig. Warten ist etwas Gutes. Warten lehrt Geduld. „True love waits“, heißt eine gute Initative unter jungen Christen, „Wahre Liebe wartet.“

Auch als Pastor lasse ich mich oft von der Ungeduld meiner Zeit anstecken, und vielleicht geht es manchen von euch ebenso. Ich kann einfach nicht geduldig abwarten, bis der Heilige Geist in unserer Gemeinde sein Werk tut. Ich wünsche mir eine schnelle Erweckung. Ich wünsche mir, dass die Gemeinde­glieder, die sich nicht mehr in der Kirche blicken lassen, schnell wieder in Scharen auftauchen. Ich wünsche mir, dass die große Lauheit bie vielen Gemeinde­gliedern einer brennenden Liebe für Christus und seiner Kirche weicht, einer brennenden Liebe, die sich in zu­verlässiger und tat­kräftiger Mitarbeit äußert, in reger Teilnahme an den Gemeinde­veranstaltun­gen und auch in großzügiger Gebefreude. Was aber, wenn die Zeit noch nicht reif dafür ist und der Geist noch nicht weht? So muss ich auch mir selbst sagen: Warten ist wichtig. Warten ist etwas Gutes. Warten lehrt Geduld. Und vor allem: Warten lehrt, von Gott alles zu er‑warten! Der Ungeduldige will alles schnell selbst erledigen und meint, er kann es auch. Der Geduldige erkennt: Alles Gute ist Gabe von oben; es will erbeten und mit Geduld erwartet sein.

Die ersten Jünger Jesu mussten auch warten, und sie taten es geduldig. Die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten war ihre Wartezeit. Jesus hatte ihnen zum Zeitpunkt der Himmelfahrt zwei Versprechen hinter­lassen: erstens, sie würden die Gabe des Geistes empfangen, und zweitens, er würde sichtbar wieder­kommen. Nun konnten die elf Jünger nichts anderes tun als darauf zu warten, dass Jesus seine Versprechen einlösen würde. Und das taten sie auch: Sie zogen sich zurück in das Jerusalemer Haus, wo sie sich schon bisher immer aufgehalten hatten. Sie kamen zusammen im Obergemach, also in einem Verschlag auf dem Flachdach eines größeren Hauses, wo sie ganz ungestört waren. Elf Jünger waren es nur noch, denn Judas Iskariot, der Verräter, hatte sich umgebracht. Trotzdem repräsen­tierten sie immer noch die zwölf Stämme Israels, wie Jesus es einst bei ihrer Berufung be­absichtigt hatte: Was mit ihnen geschah, ist Vorbild und Beispiel für das Volk Gottes des neuen Bundes. Zu ihnen hatte sich noch Maria gesellt, die Mutter Jesu, die jetzt erst völlig begriff, was ihr der Engel zu Beginn ihrer ersten Schwanger­schaft geweissagt hatte: Ihr Kind ist Gottes Sohn und der Retter der Welt. Auch Jesu Brüder waren inzwischen zum Glauben an ihn gekommen und trafen sich mit den Jüngern; trafen sich und warteten. Warten ist wichtig. Warten ist etwas Gutes. Warten lehrt Geduld. Beim Warten erkannten sie: Von Gott muss alle Gute und jede verheißene Gabe kommen, besonders die verheißene Gabe des Heiligen Geistes. Es wäre sinnlos, durch eigene Aktivitäten die Ausgießung des Heiligen Geistes be­schleunigen zu wollen. Die Zeit musste erst reif sein, und den Zeitpunkt würde Gott allein bestimmen. Glauben heißt warten und Geduld haben, beten und Gott machen lassen. So taten sie denn in diesen zehn Tagen nichts anderes als beten und warten.

Ihr Warten wurde belohnt: Es wurde Pfingsten, der verheißene Geist kam, und sie wurden Christi Zeugen. Nicht nur in Jerusalem, sondern bis ans Ende der Welt. Jede christliche Gemeinde auf Erden ein­schließlich unserer kleinen Gemeinde hier ist eine reife Frucht des Geistes, auf den die Jünger damals betend gewartet hatten. Und so steht es auch uns heutigen Christen nicht übel an, zu warten und zu beten.

Von den ersten Jüngern lernen wird, dass die wartende Kirche gemeinsam wartet, sie waren „stets und einmütig beieinander“ in der Wartezeit nach der Himmelfahrt ihre Herrn. Jünger Jesu leben ihren Glauben nicht in der Vereinzelung, sondern Jünger Jesu sind eine Gemein­schaft, ein Volk, das Volk Gottes des Neuen Testaments. Wenn wir also auf Früchte des Heiligen Geistes unter uns und in aller Welt warten, dann sollten wir das ebenfalls in der Weise tun, dass wir einmütig beieinander sind, und zwar nicht nur gelegent­lich nach Lust und Laune, sondern stets, regelmäßig!

Und wir sollten die Wartezeit ebenso sinnvoll füllen wie die Jünger damals: Wir sollten beten. Darum ist das Kirchengebet im Gottes­dienst nach der Predigt nicht ein un­bedeutendes Stück Liturgie unter „ferner liefen“, sondern eine ganz wichtige Tätigkeit der ganzen Gemeinde. Nicht, dass Gott nicht auch ohne unser Gebet Segensgaben und den Heiligen Geist schenken könnte; er weiß auch schon von vornherein, was wir brauchen; er hat es nicht nötig, dass wir ihn im Gebet daran erinnern. Nein, vielmehr sollen wir beten, weil sich so unser Glaube ausdrückt, nämlich ein geduldig wartender Glaube, ein demütiger Glaube, der alles Gute von Gott erhofft und weiß: Ich selbst kann nichts erzwingen. Reife Früchte des Heiligen Geistes, geistliche Gemeinde­erneuerung und Erweckung will erbetet und geduldig erhofft sein. Manche Christen machen sich ja Illusionen und glauben, wenn man nur das richtige Missions­programm hat, wenn man nur ordentlich Leben und Action in der Gemeinde entwickelt, wenn es da nur recht viele Aktivitäten und Angebote für Jung und Alt gibt, dann wird sich das Leben schon einstellen. Aber Fehl­anzeige! So wichtig auch unser Bemühen um Gemeinde­aktivitäten ist, es kann nichts Rechts daraus werden, wenn wir nicht beten und geduldig abwarten, wann Gott welche Früchte bei uns reifen lässt.

Und bei diesem Warten auf den Geist und auf Erweckung wollen wir auch das andere Versprechen nicht vergessen, das Jesus mit seiner Himmelfahrt hinterließ und auf dessen Erfüllung die Christen­heit noch heute ebenso wartet wie die Jünger damals: die Wiederkehr des Herrn. Unsere Erde ist ein großer und schöner Wartesaal für die Kirche Jesu Christi, wo sie gemeinsam betend und geduldig hoffend dem Tag entgegen­wartet, an dem er in der Weise leiblich wieder­kehren wird, wie ihn einst die ersten Jünger haben gen Himmel fahren sehen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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