Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Ein Ei ist kein Kücken. Trotzdem kann ein Ei ein Kücken enthalten und ein Kücken hervorbringen. Ebenso verhält es sich mit Gottes großem Heilsplan für die Welt, mit Gottes Reich, mit dem ewigem Leben. Das Alte Testament ist das Ei: Es enthält die Verheißung, es enthält Gottes Versprechen, dass er einmal den Erlöser schicken wird und dass durch ihn alle Völker Frieden und Heil finden können. Das Neue Testament berichtet, wie das Kücken ausschlüpft: Der Gottessohn wurde Mensch, litt, starb und ist am dritten Tage wieder auferstanden. So kann der Apostel Paulus melden: „Wir verkündigen euch die Verheißung, die an die Väter ergangen ist, dass Gott sie uns, ihren Kindern, erfüllt hat, indem er Jesus auferweckte.“
Nun lohnt es sich, darauf zu achten, in welcher Situation der Apostel Paulus diese Worte gesprochen hat.
Wir begeben uns in Gedanken in einen Synagogengottesdienst in der Stadt Antiochia in Kleinasien, der heutigen Türkei, ungefähr in das Jahr 50 nach Christus. Dort sitzt am Sabbat eine jüdische Gemeinde beieinander und feiert Gottesdienst – ähnlich wie wir hier Sonntag für Sonntag Gottesdienst feiern. Die Juden von Antiochia feiern Gottesdienst in einer festgelegten Form, wie sie schon seit Jahrhunderten in Gebrauch ist. Es sind fromme Menschen, sie lieben und verehren Gott, sie hoffen auf seinen Schutz und seine Hilfe. Sie hören mehr oder weniger aufmerksam zu, wenn ihnen aus den Schriften des Alten Testaments etwas vorgelesen wird; das meiste haben sie schon viele Male gehört. Sie kennen das Gesetz des Mose, sie kennen die Bußrufe der Propheten, sie wissen, dass einmal der Davidssohn kommen wird, der große Erlöser aus dem Geschlecht des Königs Davids, der ein ewiges Königreich aufrichten wird. Sie singen Psalmen, sie verabschieden sich dann wieder voneinander bis zum nächsten Sabbat und kehren heim.
Eines Tages bemerken sie zwei Fremde in der Synagoge. Ihr kennt das ja auch: Wenn man fremde Gesichter im Gottesdienst bemerkt, dann schaut man sich die Gäste unaufällig an und überlegt, wer sie sind und was sie zu uns führt. Die Fremden in der Synagoge von Antiochia sind offensichtlich auch Juden. Der eine von ihnen sieht aus wie ein Schriftgelehrter, wie ein Rabbi. Die Fremden feiern ihren Gottesdienst mit. Ehrfürchtig stehen sie mit gesenkten Köpfen bei den Schriftlesungen. Nun ist die Predigt an der Reihe. Und da gibt es eine Besonderheit im Synagogengottesdienst, die ihn von unseren Gottesdiensten unterscheidet: Die Predigt hält der Synagogenvorsteher oft nicht selbst, sondern er bittet einen der anwesenden angesehenen Männer, ein paar Worte der Auslegung an die Gemeinde zu richten. An dem Tag, als die Gäste im Gottesdienst sind, flüstert der Synagogenvorsteher vor der Predigt mit den Gemeindevorstehern, dann geht er auf die Gäste zu und sagt ihnen: „Liebe Brüder, wenn ihr zur Gemeinde reden möchtet, könnt ihr das jetzt tun.“ Da steht der eine auf und beginnt zu reden. Es ist der Apostel Paulus. Er ist zusammen mit seinem Gefährten Barnabas von Gott in den Verkündigungsdienst berufen worden und befindet sich gerade auf seiner ersten Missionsreise.
Die Gemeinde hört aufmerksam zu. Nicht jeden Sabbat haben sie einen Gastprediger. Kein Wort der Predigt lassen sich die Gläubigen entgehen. Paulus erinnert sie zunächst in einem großen Bogen an die Geschichte des Volkes Israels. Das ist den Hörern vertraut: der Auszug aus Ägypten, die vierzig Jahre in der Wüste, die Einnahme des Landes Kanaan, die Richterzeit, der König Saul, der König David – alles bekannt. Er erinnert an die Verheißung des Davidssohns. Ach ja, denken einige wehmütig, so lange warten wir schon auf den Erlöser, ob er wohl noch kommt? Denn wie traurig steht es um Gottes Volk: Israel unter viele Völker verstreut, das verheißene Land unter der Herrschaft von Heiden und Götzendienern, überall Gewalt und Hinterlist und schmutzige Politik. Ach ja, der Davidssohn. Und dann trauen sie ihren Ohren kaum: Was sagt der fremde Rabbi da? Der Davidssohn ist schon gekommen, er ist schon da? Jesus heißt er? Und wurde zum Tode verurteilt, gekreuzigt und begraben? Feierlich fährt Paulus fort: „Aber Gott hat ihn auferweckt von den Toten; und er ist an vielen Tagen denen erschienen, die mit ihm von Galiläa hinauf nach Jerusalem gegangen waren; die sind jetzt seine Zeugen vor dem Volk. Und wir verkündigen euch die Verheißung, die an die Väter ergangen ist, dass Gott sie uns, ihren Kindern, erfüllt hat, indem er Jesus auferweckte.“
Die Verheißung ist erfüllt! Das Ei ist aufgebrochen! Das Kücken ist ausgeschlüpft! Der Erlöser ist da! Gott hat ihn durch ein Wunder bestätigt, durch ein unerhörtes Wunder: Er war tot und ist wieder lebendig geworden! Und viele Menschen können dieses Wunder bezeugen, es ist wirklich geschehen!
Und was weiter? Paulus erklärt seinen Hörern, wie sie durch Buße und Glaube an Jesus Vergebung der Sünden und ewiges Leben finden können. Bald darauf lassen sich die ersten Juden aus Antiochia taufen, und es entsteht eine christliche Gemeinde mit christlichen Gottesdiensten und mit der Feier des Heiligen Abendmahls, so wie wir Gottesdienste feiern.
Ja, so wie wir auch heute wieder Gottesdienst feiern, am Osterfest. Wir können jubeln und uns freuen, dass Gott seine Verheißungen aus dem Alten Testament wahr gemacht hat! Wir können jubeln und uns freuen, dass wir in seinem Reich unter der wunderbaren Herrschaft des Davidssohnes Jesus Christus leben! Wir können jubeln und uns freuen, dass wir durch die heilige Taufe Vergebung der Sünden empfangen haben und Bürger seines Reiches geworden sind! Wir können jubeln und uns freuen, dass Jesus uns Tag für Tag durchs Leben begleitet und wir nie einsam sind! Wir können jubeln und uns freuen, dass wir mit Jesus ewig leben werden, dass wir einmal auferstehen werden, wie er auferstanden ist!
Vielleicht vergessen wir ja manchmal diese große Freude. Vielleicht sind wir müde geworden auch in unseren Gottesdiensten wie die Juden in der Synagoge damals. Vielleicht kriegen wir unsern Mund kaum noch auf zum Gotteslob. Vielleicht zweifelt unser Herz angesichts einer verrückten Gegenwart und fragt sich, wo der Sieg Jesu denn in der Welt sichtbar wird.
Dann sollten wir uns einfach an das Wort halten. Denn es hat sich doch eigentlich nichts verändert in Gottes Reich, seit Paulus und die anderen Apostel die Auferstehung Jesu verkündigten. Auch wir verkündigen heute die Veheißung, die an die Väter ergangen ist, dass Gott sie uns, ihren Kindern, erfüllte, indem er Jesus auferweckte. Wir habe doch immer noch das Zeugnis der Augenzeugen des Auferstandenen, in der Bibel ist es uns treu überliefert. Wir haben die Vollmacht zu taufen und Sünden zu vergeben. Wir bestatten unsere Toten in der getrosten Zuversicht, dass Gott sie am Jüngsten Tag auferwecken und in die ewige Seligkeit nehmen wird.
Ja, am Jüngsten Tag wird Jesus sichtbar wiederkommen. Alle Menschen werden dann sehen, dass er auferstanden ist und lebt, ob sie es bis dahin geglaubt haben oder nicht. Gott wird diese letzte seiner Verheißungen genauso treu erfüllen wie alle anderen, die Auferweckung Jesu von den Toten ist seine Garantie dafür. Uns Christen wird das ebenso überraschend treffen wie die Juden in Antiochia, dass der Erlöser jetzt da, vielleicht noch überraschender. Und wir werden erkennen, dass von Gottes Verheißung dann auch die letzten Eierschalen abgefallen sind. Amen.
PREDIGTKASTEN |