Erfüllt!

Predigt über Apostelgeschichte 13,30‑33a zum Ostermontag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein Ei ist kein Kücken. Trotzdem kann ein Ei ein Kücken enthalten und ein Kücken hervor­bringen. Ebenso verhält es sich mit Gottes großem Heilsplan für die Welt, mit Gottes Reich, mit dem ewigem Leben. Das Alte Testament ist das Ei: Es enthält die Verheißung, es enthält Gottes Ver­sprechen, dass er einmal den Erlöser schicken wird und dass durch ihn alle Völker Frieden und Heil finden können. Das Neue Testament berichtet, wie das Kücken aus­schlüpft: Der Gottessohn wurde Mensch, litt, starb und ist am dritten Tage wieder auf­erstanden. So kann der Apostel Paulus melden: „Wir verkündigen euch die Verheißung, die an die Väter ergangen ist, dass Gott sie uns, ihren Kindern, erfüllt hat, indem er Jesus auf­erweckte.“

Nun lohnt es sich, darauf zu achten, in welcher Situation der Apostel Paulus diese Worte gesprochen hat.

Wir begeben uns in Gedanken in einen Synagogen­gottes­dienst in der Stadt Antiochia in Kleinasien, der heutigen Türkei, ungefähr in das Jahr 50 nach Christus. Dort sitzt am Sabbat eine jüdische Gemeinde beieinander und feiert Gottes­dienst – ähnlich wie wir hier Sonntag für Sonntag Gottes­dienst feiern. Die Juden von Antiochia feiern Gottes­dienst in einer fest­gelegten Form, wie sie schon seit Jahr­hunderten in Gebrauch ist. Es sind fromme Menschen, sie lieben und verehren Gott, sie hoffen auf seinen Schutz und seine Hilfe. Sie hören mehr oder weniger aufmerksam zu, wenn ihnen aus den Schriften des Alten Testaments etwas vorgelesen wird; das meiste haben sie schon viele Male gehört. Sie kennen das Gesetz des Mose, sie kennen die Bußrufe der Propheten, sie wissen, dass einmal der Davidssohn kommen wird, der große Erlöser aus dem Geschlecht des Königs Davids, der ein ewiges Königreich aufrichten wird. Sie singen Psalmen, sie ver­abschieden sich dann wieder voneinander bis zum nächsten Sabbat und kehren heim.

Eines Tages bemerken sie zwei Fremde in der Synagoge. Ihr kennt das ja auch: Wenn man fremde Gesichter im Gottesdienst bemerkt, dann schaut man sich die Gäste unaufällig an und überlegt, wer sie sind und was sie zu uns führt. Die Fremden in der Synagoge von Antiochia sind offen­sichtlich auch Juden. Der eine von ihnen sieht aus wie ein Schrift­gelehrter, wie ein Rabbi. Die Fremden feiern ihren Gottes­dienst mit. Ehrfürchtig stehen sie mit gesenkten Köpfen bei den Schrift­lesungen. Nun ist die Predigt an der Reihe. Und da gibt es eine Besonder­heit im Synagogen­gottes­dienst, die ihn von unseren Gottes­diensten unter­scheidet: Die Predigt hält der Synagogen­vorsteher oft nicht selbst, sondern er bittet einen der anwesenden angesehenen Männer, ein paar Worte der Auslegung an die Gemeinde zu richten. An dem Tag, als die Gäste im Gottes­dienst sind, flüstert der Synagogen­vorsteher vor der Predigt mit den Gemeinde­vorstehern, dann geht er auf die Gäste zu und sagt ihnen: „Liebe Brüder, wenn ihr zur Gemeinde reden möchtet, könnt ihr das jetzt tun.“ Da steht der eine auf und beginnt zu reden. Es ist der Apostel Paulus. Er ist zusammen mit seinem Gefährten Barnabas von Gott in den Ver­kündigungs­dienst berufen worden und befindet sich gerade auf seiner ersten Missions­reise.

Die Gemeinde hört aufmerksam zu. Nicht jeden Sabbat haben sie einen Gast­prediger. Kein Wort der Predigt lassen sich die Gläubigen entgehen. Paulus erinnert sie zunächst in einem großen Bogen an die Geschichte des Volkes Israels. Das ist den Hörern vertraut: der Auszug aus Ägypten, die vierzig Jahre in der Wüste, die Einnahme des Landes Kanaan, die Richter­zeit, der König Saul, der König David – alles bekannt. Er erinnert an die Verheißung des Davids­sohns. Ach ja, denken einige wehmütig, so lange warten wir schon auf den Erlöser, ob er wohl noch kommt? Denn wie traurig steht es um Gottes Volk: Israel unter viele Völker verstreut, das verheißene Land unter der Herrschaft von Heiden und Götzen­dienern, überall Gewalt und Hinterlist und schmutzige Politik. Ach ja, der Davidssohn. Und dann trauen sie ihren Ohren kaum: Was sagt der fremde Rabbi da? Der Davidssohn ist schon gekommen, er ist schon da? Jesus heißt er? Und wurde zum Tode verurteilt, gekreuzigt und begraben? Feierlich fährt Paulus fort: „Aber Gott hat ihn auferweckt von den Toten; und er ist an vielen Tagen denen erschienen, die mit ihm von Galiläa hinauf nach Jerusalem gegangen waren; die sind jetzt seine Zeugen vor dem Volk. Und wir verkündigen euch die Verheißung, die an die Väter ergangen ist, dass Gott sie uns, ihren Kindern, erfüllt hat, indem er Jesus auf­erweckte.“

Die Verheißung ist erfüllt! Das Ei ist auf­gebrochen! Das Kücken ist aus­geschlüpft! Der Erlöser ist da! Gott hat ihn durch ein Wunder bestätigt, durch ein unerhörtes Wunder: Er war tot und ist wieder lebendig geworden! Und viele Menschen können dieses Wunder bezeugen, es ist wirklich geschehen!

Und was weiter? Paulus erklärt seinen Hörern, wie sie durch Buße und Glaube an Jesus Vergebung der Sünden und ewiges Leben finden können. Bald darauf lassen sich die ersten Juden aus Antiochia taufen, und es entsteht eine christliche Gemeinde mit christ­lichen Gottes­diensten und mit der Feier des Heiligen Abendmahls, so wie wir Gottes­dienste feiern.

Ja, so wie wir auch heute wieder Gottes­dienst feiern, am Osterfest. Wir können jubeln und uns freuen, dass Gott seine Ver­heißungen aus dem Alten Testament wahr gemacht hat! Wir können jubeln und uns freuen, dass wir in seinem Reich unter der wunderbaren Herrschaft des Davids­sohnes Jesus Christus leben! Wir können jubeln und uns freuen, dass wir durch die heilige Taufe Vergebung der Sünden empfangen haben und Bürger seines Reiches geworden sind! Wir können jubeln und uns freuen, dass Jesus uns Tag für Tag durchs Leben begleitet und wir nie einsam sind! Wir können jubeln und uns freuen, dass wir mit Jesus ewig leben werden, dass wir einmal auferstehen werden, wie er auf­erstanden ist!

Vielleicht vergessen wir ja manchmal diese große Freude. Vielleicht sind wir müde geworden auch in unseren Gottesdiensten wie die Juden in der Synagoge damals. Vielleicht kriegen wir unsern Mund kaum noch auf zum Gotteslob. Vielleicht zweifelt unser Herz angesichts einer verrückten Gegenwart und fragt sich, wo der Sieg Jesu denn in der Welt sichtbar wird.

Dann sollten wir uns einfach an das Wort halten. Denn es hat sich doch eigentlich nichts verändert in Gottes Reich, seit Paulus und die anderen Apostel die Auf­erstehung Jesu ver­kündigten. Auch wir verkündigen heute die Veheißung, die an die Väter ergangen ist, dass Gott sie uns, ihren Kindern, erfüllte, indem er Jesus auf­erweckte. Wir habe doch immer noch das Zeugnis der Augenzeugen des Auf­erstande­nen, in der Bibel ist es uns treu über­liefert. Wir haben die Vollmacht zu taufen und Sünden zu vergeben. Wir bestatten unsere Toten in der getrosten Zuversicht, dass Gott sie am Jüngsten Tag auferwecken und in die ewige Seligkeit nehmen wird.

Ja, am Jüngsten Tag wird Jesus sichtbar wieder­kommen. Alle Menschen werden dann sehen, dass er auf­erstanden ist und lebt, ob sie es bis dahin geglaubt haben oder nicht. Gott wird diese letzte seiner Ver­heißungen genauso treu erfüllen wie alle anderen, die Auf­erweckung Jesu von den Toten ist seine Garantie dafür. Uns Christen wird das ebenso über­raschend treffen wie die Juden in Antiochia, dass der Erlöser jetzt da, vielleicht noch über­raschender. Und wir werden erkennen, dass von Gottes Verheißung dann auch die letzten Eierschalen abgefallen sind. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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