Nahe sein im letzten Leid

Predigt über Markus 14,3‑9 zum Sonntag Palmarum

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Leid hat sehr ver­schiedene Gesichter. Es gibt körper­liches Leid, das sind Schmerzen und Schwach­heit. Es gibt wirtschaft­liches Leid, die Armut. Es gibt seelisches Leid, nämlich Angst vor kommendem Unheil oder enttäuschte Er­wartungen. Es gibt das Leid der Einsamkeit, wenn man sich von einem vertrauten Menschen entfremdet hat oder wenn man sich endgültig von ihm ver­abschieden muss. Und es gibt das letzte Leid, das Sterben. Da treffen oft alle anderen Formen des Leids zusammen: die Schmerzen des Körpers, die Ablösung vom irdischen Besitz, die Angst vor der letzten Stunde, die Trauer über noch nicht voll aus­gekostetes Leben, der endgültige Abschied von lieben Menschen.

Warum müssen Menschen leiden? Warum müssen Menschen sterben? Wenn wir auch die tiefsten Ursachen und Zusammenhänge mit unserem Verstand nicht fassen können, so haben wir doch an den vergangenen Sonntagen der Passionszeit mit Gottes Wort einige Antworten gefunden. Wir haben erkannt: Durch die Sünde sind Leid und Tod in die Welt gekommen. Menschen tun sich aus Bosheit Leid an. Leid­erfahrungen lehren uns, andere zu trösten. Leid kann als bewusstes Opfer im Gehorsam gegen Gott gewählt werden. Und schließ­lich: Uns Christen verbindet das Leid mit dem Herrn Jesus Christus, der für uns gelitten hat. Wie das Kreuz sein Zeichen ist, so ist es auch seinen Nachfolgern als Brand­zeichen auf­gedrückt. Jesus nachfolgen heißt das Kreuz aufnehmen.

Jesus selbst hat für uns gelitten, ja, er hat mehr gelitten als jeder andere Mensch. Und er hat auch vor dem letzten Leid nicht Halt gemacht: Er ist gestorben. Darin liegt der größte Trost für uns, wenn wir leiden müssen, ja, darin liegt die Erlösung von allem Leid. Wenn wir zu Jesus gehören und Jesus zu uns, dann werden Leid und Tod nicht das letzte Wort über uns behalten. Darum ist die Nähe zu Jesus das Wichtigste, was es gibt. Und wir dürfen wissen: Gerade wenn wir leiden müssen, ist er uns ganz nah mit seinem Trost. So sind wir im Leiden und sogar im Sterben nie wirklich allein.

So wie Jesus uns aus Liebe im Leiden und Sterben nahe ist, so sollen wir uns auch unter­einander beistehen. Als Beispiel dafür kann uns die Frau dienen, die Jesus in Betanien gesalbt hat. Es war Maria, die Schwester der Marta. Aus Liebe wollte sie Jesus nahe sein am Anfang seines Leidens­weges. Sie spürte, jetzt würde sich erfüllen, was er schon öfters angedeutet hatte, jetzt kam das Kreuz auf ihn zu. Und sie wollte ihm ihre Nähe, ihren Beistand ganz deutlich machen. Sie tat es ohne Worte. Sie tat es mit etwas ganz Kostbarem, mit teuerstem Salböl, mit Nardenöl. Dreihundert Silber­groschen war das Alabaster­gefäß wert, fast der Arbeitslohn eines ganzen Jahres. Sie ließ sich auch von denen nicht beirren, die die Verwendung des gesamten Öls für Jesus eine Ver­schwendung nannten. Und Jesus nahm ihre gute Tat gern an. Er verteidigte sie. Er sagte: „Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis.“ Wie viele Menschen gaben damals Unsummen aus für die Ein­balsamie­rung von Toten, und da kam keiner auf die Idee, das für eine Ver­schwendung zu halten. Wie gut von Maria, dass sie Jesus ihre ver­schwende­rische Liebe schon spüren ließ, als er noch am Leben war!

Maria hatte zuvor Jesu Liebe und Hilfe erfahren. Jetzt, wo er leiden sollte, wollte sie ihm nahe sein und beistehen. Und so wie Jesus auch uns liebt und nahe ist und hilft, so sollen wir uns unter­einander im Leid beistehen und nach Marias Vorbild nahe sein. Ganz besonders wollen wir das tun, wenn es ans Sterben geht. Bei den meisten Menschen gibt es ja den natürlichen Impuls, dem Tod aus­zuweichen. Zum Beispiel besucht mancher einen Freund oder Verwandten nicht mehr, wenn er hört, dass er unheilbar erkrankt ist. Oder er tut so, als würde sich bald wieder Heilung einstellen. Solchen natürlichen Impuls sollten wir überwinden und dem Sterbens­kranken nahe sein, ehrlich und liebevoll nahe sein.

Von Maria lernen wir, dass nicht viele Worte nötig sind. Nähe kann man auch anders zeigen, durch einen Blick, einen Händedruck oder einen Blumen­strauß. Von Maria lernen wir, dass wir nicht knausern sollen, wenn es um den Trost eines Sterbenden geht. Was nützen teure Blumen und teure Särge am Grab? Lasst uns denen, die wir lieben, noch zu Lebzeiten viel Gutes tun! Maria opferte etwas ganz Wertvolles. Für viele von uns ist Zeit sehr wertvoll – aber für häufige Besuche bei Menschen, die dem Tod entgegen­sehen, sollte sie uns nicht zu wertvoll sein. Maria ließ sich nicht von anderen beirren. Es mag wohl­meinende andere geben, die uns vom Sterbelager eines lieben Menschen fernhalten wollen – um ihn zu schon, um uns zu schonen, aus medi­zinischen Gründen oder warum auch immer. Lassen wir uns nicht abwimmeln! Die Nähe eines Menschen, liebevolle Zuwendung und Trost ist das Kostbarste, was man einem Sterbenden schenken kann.

Und wir sollten dabei auch das absolut Kostbarste nicht vergessen. Wir können es einem Sterbenden nicht schenken, wohl aber der Herr: den Glauben, der in die Auf­erstehung und in das ewige Leben führt, den Glauben an den Sünder­heiland Jesus Christus. Scheuen wir uns nicht, davon zu reden am Sterbebett! Scheuen wir uns nicht zu beten! Scheuen wir uns nicht, ein Wort vom Erlöser aus der Bibel vorzulesen! Auch wenn der Sterbende kein besonders frommer Mensch ist – mag sein, dass er nun erkennt, wie nötig er einen Heiland hat. Und wenn er noch gar nicht zu Jesus gehört, wenn er nicht getauft ist – nun, auch das lässt sich auf dem Sterbebett noch nachholen.

Wir müssen leiden, als Menschen und besonders als Christen. Aber wir erfahren darin Gottes Trost und werden fähig, andere zu trösten. Wir müssen auch einmal sterben. Aber weil Jesus für uns gestorben ist, wird unser Tod übergehen in die Auf­erstehung, und das ist der Anfang eines neuen und herrlichen Lebens. Wenn andere diesen schweren Weg vor uns gehen, wollen wir sie so lange wie möglich begleiten, ihnen nahe sein, ihnen Christus nahe­bringen. Er ist den Weg voraus­gegangen. Und auch er hatte jemanden, der ihm vor dem letzten Leiden liebevoll nahe war, ihm beistand: die Maria mit der teuren Salbe. Jesus weissagte von ihr: „Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.“ So wollen auch wir sie nicht vergessen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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