Leid und Sünde

Predigt über 1. Mose 3,1‑19 zum Sonntag Invokavit

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Warum lässt Gott Leid zu? Mit dieser Frage wollen wir uns heute und an den folgenden Sonntagen der Passions­zeit be­schäftigen. Der Bericht von der ersten Sünde der ersten Menschen, den wir eben gehört haben, gibt uns eine erste Antwort: Gott hat den Menschen das Leid als Strafe für die Sünde auferlegt.

Was ist das für eine Strafe? Bevor ich darauf eingehe, lasst mich etwas zu diesem Bibeltext anmerken: Was damals dort im Paradies mit Gott, Adam, Eva und der Schlange im Einzelnen ablief, das können wir uns nur sehr schwer vorstellen. Hundert Fragen stellen sich dem auf­merksamen Hörer oder Leser der Geschichte. Viele Menschen halten diese Geschichte deshalb für einen Mythos, eine Legende, ein Märchen. Es handelt sich aber um ein wirkliches Ereignis, denn die späteren Bücher der Bibel kommen immer wieder darauf zurück als etwas tatsächlich Ge­schehenem. Adams und Evas Sünde sind freilich ein Ereignis, das man nicht einfach als vorbei und gewesen abhaken kann. Vielmehr hat diese Geschichte bis zum heutigen Tag ihre Aus­wirkungen. Hundert Predigten ließen sich darüber halten! Aber in dieser einen Predigt kon­zentriere ich mich auf die Tatsache, dass Gott dem Menschen das Leid als Strafe für die Sünde auferlegt hat. So, und nun wieder zurück zu unserer Frage: Was ist das für eine Strafe?

In seiner guten Schöpfung hatte Gott den mensch­lichen Körper aus den Elementen der Erde geformt und ihm dann eine menschliche Seele eingegeben. Als Strafe für die Sünde wird dieser Vorgang umgekehrt: „Du bist Erde und sollst zu Erde werden“, sagte Gott zu Adam. Nach Ablauf einer bestimmten Lebenszeit entweicht die Seele aus dem Körper; der verwest und geht wieder in die Elemente der Erde über. „Der Tod ist der Sünde Sold“, heißt es kurz und knapp im Römerbrief (Römer 6,23). Unsere Sterb­lichkeit ist Gottes Strafe für die Sünde. An diese Sterb­lichkeit werden wir unser Leben lang erinnert. Jede Krankheit macht uns darauf aufmerksam. Die Zähne werden schlecht, die Kräfte nehmen ab, die Haut wird faltig, die Haare gehen aus, wir sehen nicht mehr so gut wie früher, wir hören nicht mehr so gut wie früher, und manche Schmerzen werden zu ständigen Begleitern.

In seiner guten Schöpfung hatte Gott für Adam den wunderbaren Garten Eden geschaffen mit dem Auftrag, dass er ihn „bebaute und bewahrte“ (1. Mose 2,15). Wie herrlich muss dort die Feld- und Garten­arbeit gewesen sein, mit all den herrlichen Pflanzen des Paradieses, ohne Unkraut, ohne Mühsal, ohne Rücken- und Glieder­schmerzen! Als Strafe für die Sünde wird nun eine Belastung daraus. „Verflucht sei der Acker um deinet­willen“, sagte Gott zu Adam. „Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen… Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“ Diese Sünden­strafe beschränkt sich nicht auf Bauern und Gärtner. Vielmehr ist damit alle Mühe und alles Leid gemeint, was die Alltags­arbeit und die Sorge um das tägliche Brot mit sich bringen – bis hin zu der frustrie­renden Mühe, hundert Bewerbungen zu schreiben, keine Anstellung zu finden und mit wenig Geld seinen Lebens­unterhalt bestreiten zu müssen.

In seiner guten Schöpfung hatte Gott dem einsamen Adam eine Gehilfin gemacht, Eva, seine Frau. Dass der Mann in dieser Zweier­beziehung der Führende ist und die Frau die Geführte, war etwas ganz Har­monisches, Schönes, Natür­liches, und keins von beiden hätte mit dem andern tauschen mögen. Als Strafe für die Sünde wird nun eine Belastung daraus. Gott sagte nach dem Sündenfall zu Eva: „Dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein.“ Aus dem „Aber“ geht hervor, dass es für die Frau nun auch mühevoll und leidvoll sein kann, sich dem Mann unter­zuordnen als ihrem Eheherren. Tatsächlich haben nach dem Sündenfall Männer ihre gott­gewollte Stellung als Ehe- und Familien­oberhaupt immer wieder schmählich missbraucht und sind zu Tyrannen geworden. Das neu­zeitliche Bemühen um die Gleich­stellung der Frau ist als Folge des männlichen Macht­missbrauchs nur allzu ver­ständlich. Und doch bessert sich durch solche gesell­schaft­lichen Ver­änderungen nichts im Bereich der Sünde und ihrer Folgen. Die Beziehung der Ge­schlechter zueinander bleibt nach wie vor nicht nur von Liebe und Lust, sondern auch von Leid und Enttäuschung geprägt.

In seiner guten Schöpfung hat Gott die Menschen gesegnet mit der Fähigkeit, Kinder zu zeugen und zu gebären. „Seid fruchtbar und mehret euch“, hat er verfügt (1. Mose 1,28). Als Strafe für die Sünde werden der Frau nun Geburtsschmerzen auferlegt, die äußerst un­angenehmen Wehen. Gott sagte zu Eva: „Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären.“

Leiden am Nachwuchs, leiden an der Partner­schaft, leiden am Broterwerb, leiden an der Gesundheit bis hin zum Tod – all das hat Gott Adam und Eva als Strafe für ihre Sünde verhängt, und wir sind ihre Erben. Sowohl Erben der Sünde als auch Erben der Strafe. Nicht, dass sich für jede einzelne Sünde eines einzelnen Menschen ein bestimmtes Leid als Strafe ausmachen ließe, nein, das wäre ein Irrtum, diese Meinung weist Gott in der Bibel aus­drücklich zurück. Es ist vielmehr so, dass wir als Nachkommen Adams und Evas in ein un­durchdring­liches Geflecht von Schuld und Leid hinein­geboren worden sind. Und ebenso­wenig, wie wir uns dem Leid in der Welt entziehen können, können wir uns der Ver­antwortung entziehen. Wenn wir ehrlich sind, erkennen wir alle unseren per­sönlichen Anteil Schuld in dieser Welt. Darum kann sich keiner bei Gott beklagen, irgend­welches Leid würde ihn unschuldig treffen.

Liebe Brüder und Schwestern, ihr habt vielleicht gemerkt, dass wir uns bisher im Rückwärts­gang durch den Predigttext bewegt haben. Wir haben von hinten angefangen. Und wenn wir weiter­gehen, dann kommen wir nun an ein Wort Gottes, dass er der Sünden­strafe des Menschen eigentlich voran­gestellt hat. Und das ist ein sehr schönes und tröstliches Wort, das uns mitten in der Strafe für den Teufel begegnet, der hier als Schlange getarnt auftritt. Gott sagte zur Schlange, also zum Teufel: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.“ Der eine Nachkomme Evas, Jesus Christus, zertrat dem Teufel den Kopf. Er starb am Kreuz durch das Gift Satans und bewirkte damit, dass das unselige Gewirr aus Schuld und Leid uns Menschen nicht endgültig kaputt macht. Jeder, der zu Jesus gehört, weiß: Sünde, Leid und Tod werden nicht das letzte Wort behalten. Mein Leib wird aus der Erde wieder auferstehen und aufs Neue mit der Seele belebt werden. Und dann wird es wieder so sein, wie es im Paradies vor dem Sündenfall war: Keine Schuld, kein Leid, kein Schmerz, kein Tod, nur Freude und Wonne.

Wir könnten weiter im Rückwärts­gang die Geschichte durchgehen. Wir würden wahrnehmen, wie Adam und Eva sich herausreden wollten: „Die Frau, die du, Gott, mir gegeben hast, ist schuld!“ – „Die Schlange ist schuld!“ Genau wie heute noch die Menschen Schuld nicht zugeben, sondern auf anderen abwälzen wollen. Wir würden wahrnehmen, wie sich das Gewissen bei Adam und Eva meldete, wie sie sich voreinander verstecken wollten hinter Schurzen aus Feigen­blättern und vor Gott unter den Bäumen des Paradies­gartens. Genau wie heute noch Menschen sich voreinander und vor Gott verstecken wollen, wenn sie ein schlechtes Gewissen haben. Wir würden wahrnehmen, aus welchen Motiven Adam und Eva Gott den Gehorsam auf­gekündigt hatten: Sie wollten dabei Lust, Macht und Erkenntnis gewinnen. Genau dieselben Motive, die heute noch Menschen sündigen lassen. Und wir würden schließlich wahrnehmen, wie raffiniert der Teufel die ersten Menschen zur Sünde verführt hat, mit Halb­wahrheiten und mit Anzweifeln von Gottes klarem Wort und Gebot. Genau wie der Teufel noch heute schein­heilig mit Halb­wahrheiten daherkommt und den Menschen weismachen will, die Bibel sei nicht glaub­würdig.

Aber das alles gehört nur am Rande zu unserem Thema: „Warum lässt Gott Leid zu?“ Noch einmal die Antwort der Heiligen Schrift: Gott hat das Leid als Strafe für die Sünde verordnet. Und warum sündigen Menschen? Weil der Teufel sie dazu verführt. Und warum ließ Gott es zu, dass der Mensch verführt wurde? Und warum musste Adams und Evas Sünde erblich sein? Und warum ließ Gott überhaupt den Teufel zu? – Wir kommen bei unseren Warum-Fragen an eine Grenze, die wir mit unserer begrenzten mensch­lichen Vernunft nicht über­schreiten können. Die letzten Ursachen für Sünde und Leid bleiben im Dunkeln. Wir können es nicht verstehen, wir müssen es einfach ak­zeptieren. Aber wir brauchen nicht daran zu ver­zweifeln. Denn größer als Gottes Straf­handeln ist sein Liebes­handeln in Jesus Christus, mit dem er uns aus Sünde und Leid heraus­rettet. Jesus hat der Schlange den Kopf zertreten, ein für alle mal. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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